Tödliche Pralinen
Nein!“
„Nicht doch, Tanneur, nicht doch! Nicht auf alle
Fragen lautet die Antwort ,nein’. Zum Beispiel werden Sie doch wohl nicht
bestreiten, gestern abend stockbetrunken nach Hause gekommen zu sein, oder?“
„Ja, das stimmt, ich war völlig betrunken“, gab
Tanneur zu. „Ich kam von einer Feier... äh... besser gesagt, von einer
Beerdigung.“
„Was haben Sie denn gefeiert... oder beerdigt?“
„Nein, nein“, antwortete der Taxifahrer lebhaft,
„das hat hiermit nichts zu tun. Daß ich mich gestern abend betrunken habe, geht
Sie nichts an.“
„Wie Sie meinen.“ Faroux benahm sich jetzt ganz
gesittet. „Sie sind also betrunken nach Hause gekommen. Und erinnern sich
natürlich an nichts mehr, stimmt’s?“
„An gar nichts.“
„Dann werd ich mal Ihr Gedächtnis auffrischen!
So besoffen, wie Sie waren, haben Sie ausnahmsweise Ihre Frau und Ihren Sohn
mal nicht verprügelt. Waren ganz brav, ganz liebender Vater. Und haben Ihrem
Sohn Pralinen geschenkt, an denen er dann gestorben ist.“
„Ich habe ihm keine Pralinen geschenkt.“
„Gut. Dann leugnen Sie wohl auch, überhaupt
Pralinen bei sich gehabt zu haben?“
„Ja.“
„Bedaure, aber das steht in direktem Widerspruch
zu dem, was Ihre Frau ausgesagt hat. Die Ärmste! Dabei hat sie das zu Protokoll
gegeben, um Sie zu schützen!“
Faroux las den entsprechenden Absatz aus dem
Protokoll vor.
„Ich erinnere mich nicht, Pralinen bei mir
gehabt zu haben“, sagte Tanneur resigniert.
Er war jetzt noch blasser geworden.
In diesem Augenblick läutete das Telefon auf
Faroux’ Schreibtisch.
Der
Winkeladvokat
Inspektor Faroux nahm den Hörer ab.
„Hallo!“
Eine Sekunde später machte er das Gesicht eines
Mannes, der seinen Stellungsbefehl erhalten hat.
„Jannet? Na schön...“ Resigniertes Seufzen. „Soll
reinkommen!“
Als ich den Namen hörte, spitzte ich die Ohren.
Jannet. Thomas Jannet, der Winkeladvokat. Anwalt und Verteidiger der Killer aus
Marseille, die in Paris ihrer aufregenden Arbeit nachgingen. Anwalt der
undurchsichtigsten der zwielichtigen Gestalten. Mein Blick richtete sich
fragend auf Faroux’ Schnurrbart.
„Genau der“, antwortete mein Freund auf meine
unausgesprochene Frage. „Er möchte mich sprechen. Besser, man legt ihm keine
Steine in den Weg. Mit dem da...“ Er zeigte auf Tanneur, „mache ich später
weiter.“
Die Tür öffnete sich, und herein spazierte der
kugelförmige Maître Jannet. Seine Äuglein blitzten schelmisch hinter dem
Kneifer mit dem goldenen Kettchen. Alles schwamm in Fett. Hinter ihm stand ein
Flic, den Faroux anwies, Frédéric Tanneur in einen anderen Raum zu bringen.
„Nein, nein!“ rief Jannet. „Falls es sich bei
ihm um Frédéric Tanneur handelt, ist es besser, er bleibt hier. Wegen ihm bin
ich nämlich gekommen, Inspektor.“
„Ich verstehe nicht recht...“ murmelte Faroux.
„Ich habe gehört, daß Monsieur Tanneur, den ich
gut kenne...“
„Er scheint Sie aber ganz und gar nicht zu
kennen“, bemerkte ich lachend. „Schauen Sie sich mal seine staunenden
Kinderaugen an! Und Sie, lieber Maître, haben, wenn ich recht gehört habe,
soeben gesagt: ,Falls es sich um Frédéric Tanneur handelt...’ Das läßt doch
wohl darauf schließen, daß Sie sich an sein Gesicht nicht besonders gut
erinnern können. Ich will Ihnen nichts Böses, aber Spaß macht’s mir doch.“
„Sieh an, Nestor Burma!“ tönte Jannet jovial. „Sie
würde ich auch mit falschem Bart erkennen. Ich stelle fest, daß Augen und Ohren
bei Ihnen immer noch ausgezeichnet funktionieren. Aber sagen Sie, was treiben
Sie denn hier?“
„Ich stehe unter Mordverdacht“, raunte ich ihm
zu.
„Ach, wirklich?“ Er lachte prustend los. „Also,
ich könnte Sie... Oh, unser lieber Inspektor wird ungeduldig. Lassen Sie mich
ihm die Gründe für meinen Besuch auseinanderlegen...“
Und er begann zu sprechen und wedelte mit den Armen,
obwohl er gar keinen Talar trug. Unaufhörlich ließ er dabei den riesigen
Solitär an seiner Hand funkeln. Eine entsetzliche Angewohnheit!
„Der Mann mit dem Solitär“, so wurde Thomas
Jannet in bestimmten Kreisen genannt. Der Diamant war das Geschenk eines
berüchtigten Juwelendiebs. Wenn man den dicken Anwalt fragte, ob er keine Angst
habe, daß... na ja, Sie verstehen schon..., dann antwortete er lächelnd, er
besitze die Quittung. Es war wohl das einzige Schmuckstück, das der berühmte
Dieb jemals ehrlich erworben hatte. Und das, um den Stein seinem Anwalt
Weitere Kostenlose Bücher