Tödliche Pralinen
Trink- und Spielleidenschaft. Zola und Montépin
ließen grüßen. Dann fragte Faroux:
„Warum sind Sie heute nicht zur Arbeit gegangen?“
„Muß ich darauf antworten? Das tut doch wohl
nichts zur Sache. Was das Trinken angeht... äh... Ich frag mich selber, warum
ich das tu. Und die Spielerei…“
„Wenn Sie nicht antworten wollen, dann lassen
Sie’s bleiben. Ist mir scheißegal! Ich stelle Ihnen ‘ne andere Frage. Hat
allerdings auch nichts mit Alkohol zu tun... Wie ging es Ihrem Sohn heute
morgen?“
„Meinem Sohn? Wie meinen Sie das?“ Tanneur
schaute verständnislos. „Er war krank. Das Abendessen muß ihm nicht bekommen
sein.“
„Na, so langsam verstehen wir uns“, seufzte
Faroux mit gespielter Gutmütigkeit. „Das Abendessen also, hm? Was Sie nicht
sagen! War’s vielleicht die Schokolade?“
Mein Freund Florimond widerte mich an. Ich hatte
ihn nie Katz und Maus spielen sehen. War sonst eigentlich nicht seine Art. So
fest glaubte er also an die Schuld des Mannes, der vor ihm saß! Ich verzog das
Gesicht. Der Taxifahrer ebenfalls, allerdings aus einem anderen Grund.
„Ich persönlich mag keine Schokolade“, sagte er.
„Aber was spielen wir eigentlich? Begriffe raten?“
„Oh nein! Wir spielen das Wahrheitsspiel. Sehr
amüsant, kann ich Ihnen sagen! Aber zurück zum Thema, das heißt: zur
Schokolade. Sie haben gestern abend Ihrem Söhnchen welche mitgebracht, stimmt’s?“
Tanneur lachte.
„Ich glaube, wir spielen Professor Plume und Dr.
Goudron. Nein, ich habe meinem Sohn keine Schokolade mitgebracht. Das hab ich
noch nie getan.“
„Genau das hat man mir erzählt.“
„So, das war’s dann wohl. Sie hatten Ihren Spaß,
ich gehe!“ Der Taxifahrer stand auf.
„Sitzenbleiben!“ schnauzte Faroux. „Sie haben
Ihrem Sohn Schokolade mitgebracht. Das haben Sie sonst nie getan, wie Sie
selbst zugeben. Ein Grund mehr, Ihr Geschenk als verdächtig zu bezeichnen. Das
Schokoladen-Geschenk, Tanneur! Hier, das Resultat!“
Der Inspektor reichte dem Mann ein Foto. Der
warf einen Blick darauf und wurde blaß. Er sprang auf, der Stuhl kippte nach
hinten. Beide Hände auf den Schreibtisch gestützt, sein Gesicht ganz nah vor
dem des Inspektors, schrie er:
„Um Himmels willen! Jean sieht aus... als...
als...“
„Ja, er ist tot“, stellte Faroux sachlich fest. „Vergiftet.
Das Arsen, das Sie in die Pralinen getan haben...“
„Was?“
Tanneur sah uns abwechselnd an, fassungslos.
„Das... Das ist doch nicht mö... nicht möglich“,
stammelte er. „Aber... Ich... Großer Gott!“
„Schnauze!“ brüllte Faroux. „Sie werden mir
jetzt antworten, klar?!“
Tanneur brach zusammen.
„Aber... Inspektor“, jammerte er, „das ist ja...
furchtbar! Mein Kind... Jean... tot... Und dann... Sie verdächtigen mich...
Mich!“ schrie er auf. „Das ist furchtbar! Ich soll... meinen Sohn vergiftet
haben!? Das... glauben Sie doch, ja?“
„Ich glaube gar nichts. Ich halte mich nur an
Tatsachen. Gestern abend haben Sie Ihrem Sohn Pralinen mitgebracht. Er hat sie
gegessen, und jetzt ist er tot. Wo haben Sie die Pralinen gekauft?“
„Ich habe keine Pralinen mitgebracht. Weder
gestern noch irgendwann sonst.“
„Letzteres glaube ich Ihnen aufs Wort! Nein,
Geschenke machen ist nicht Ihre Art. In diesem Punkt stimmen alle
Zeugenaussagen überein. Monsieur Tanneur, Sie waren alles andere als ein
zärtlicher Vater. Und die Aussagen Ihrer Nachbarinnen sind alles andere als
günstig für Sie.“
„Wollen Sie mich etwa aufgrund der Aussagen
meiner Nachbarn einsperren?“
„Warten Sie doch wenigstens, bis offiziell
Anklage gegen Sie erhoben wird!“
„Offiziell!“ wiederholte Tanneur. „Offiziell!
Sie machen mir Spaß! Schlimmer kann’s für mich auch nicht werden, wenn ich...
offiziell angeklagt werde!“
„Gleich, wenn Sie hier rausgehen...“
„Falls ich überhaupt hier rauskomme!“
„Warum denn nicht?“ mischte ich mich ein. „Sie
sind doch unschuldig, oder?“
Der Taxifahrer sah mich an und schrie:
„Ja, ich bin unschuldig, egal, was Sie denken!
Sie verhören mich hier wie einen Verbrecher und beschuldigen mich, mein eigenes
Kind getötet zu haben. Und ich sage Ihnen: Nein, nein und nochmals nein! Ich
bin unschuldig! Ich habe dieses schreckliche Verbrechen nicht begangen!“
„Ich würde Ihnen gerne glauben“, sagte Faroux
gelassen. „Antworten Sie jetzt bitte nur auf meine Fragen.“
„Sie brauchen mir keine Fragen zu stellen, die
Antwort auf alle lautet:
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