Tödliche Pralinen
sich ein Foto
abholen.“
Mit diesen Worten legte ich auf. Reboul ließ von
seinem Kreuzworträtsel ab und erhob sich aus dem Sessel. Fragend sah er mich
an. Natürlich hatte er kapiert, daß der Spruch mit Mae West und dem Foto reiner
Blödsinn war. Sein Typ war eher Arletty, und er wußte, daß ich es wußte.
„Sie werden versuchen, so viele Informationen
wie möglich über René Galzat aus Covet rauszukitzeln“, trug ich ihm auf. „Ab
sofort hängen Sie sich an den Schlauberger. Ich meine Galzat. Tag und Nacht
lassen Sie ihn nicht aus den Augen. Wenn er einer Spur folgt, die zu den
Diamanten der Engländerin oder den Entführern des Börsenmenschen führt, müssen
Sie mich... Ich wiederhole: müssen Sie mich sofort benachrichtigen,
damit wie vor ihm da sind und ihm die Beute vor der Nase wegschnappen! Kümmern
Sie sich um jeden Dreck, schnüffeln Sie in seinem Leben herum... und in dem
seiner Bekannten! Ich meinerseits werde mich bei der Tour Pointue erkundigen,
ob er vielleicht mal verurteilt worden ist... wegen Zuhälterei, zum Beispiel.
Könnte immerhin nützlich sein.“
„Das wäre zu schön, um wahr zu sein“, lachte
Reboul. „Aber sagen Sie mal, Chef, ich wußte gar nicht, daß Sie so hinterfotzig
sind.“
„Ich auch nicht“, gab ich seufzend zurück, „und
es macht mir auch überhaupt keinen Spaß. Aber ich stehe nun mal nicht gerne als
Trottel da. Ich habe einen Ruf zu verteidigen. Der Mann, der das Geheimnis k.o.
schlägt, bin ich! Sonst niemand! Und da kommt so’n Journalist daher...“
„Ja, ja, schon gut!“ rief Reboul. „Mir reicht
die Erklärung mit dem Ruf, den Sie zu verteidigen haben. Wenn nämlich Nestor
Burma seinen Ruf verliert, gibt es keine Agentur Fiat Lux mehr, und wenn
es keine Agentur Fiat Lux mehr gibt, gibt es auch keine Honorare mehr!“
„Es ist eine Freude, zu sehen, wie zugänglich
Sie idealistischen Argumenten sind“, stellte ich fest.
Reboul zog eine Grimasse und ging hinaus. Ich
nahm wieder den Crépuscule in die Hand. Auf keinen Fall durfte meine Wut
verrauchen! Es wirkte. Schon nach wenigen Sekunden schleuderte ich das Käseblatt
durchs Büro... direkt vor die Füße meiner Sekretärin, die soeben die
Verbindungstür geöffnet hatte.
„Was gibt’s?“ knurrte ich ihr entgegen. „Ein
Klient?“
„Das bezweifle ich. Da ist ein junger Bengel,
der Sie sprechen will. Sieht aus wie’n kleiner Taschendieb. Behauptet, Sie zu
kennen. Und angezogen ist der... Wo, zum Teufel, kann man sich so alte
Klamotten besorgen!?“
„Fragen Sie ihn doch“, riet ich ihr. „Wie heißt
er?“
„Jacques Bressol.“
„Bressol?“ rief ich. „Der Gangster? Ja,
natürlich ist das ‘n Freund von mir...“
„Gangster?“ fragte Hélène und verzog ungläubig
das Gesicht. „Danach sieht er aber nicht aus. Ein Halbwüchsiger in abgerissener
Kleidung...“
„Trotzdem ist er ‘n richtiger Gangster. Soll
reinkommen, ich brauch mal ‘ne Abwechslung.“
Kurz darauf stand Jacques Bressol vor mir. Eine
abenteuerliche Erscheinung, dieser Fünfzehnjährige mit dem intelligenten,
sympathischen Sommersprossengesicht. Seine lebhaften, frech dreinblickenden
Augen wurden von einer Schirmmütze verdeckt. Der Junge war zu mager für sein
Alter. Die übergroße, graue Jacke schlotterte um seinen knochigen Körper. Unter
dem linken Ärmel war sie ganz schwarz: Spuren der Zeitungen, die frisch aus der
Druckerpresse kamen. Der Stoff der rechten Tasche war durch einen Lederflicken
ersetzt. „Na?“ begrüßte ich ihn. „Was gibt es Gutes?“
„Schlechtes“, brummte der Junge und setzte sich.
Er angelte sich eine Kippe aus meinem
Aschenbecher, zündete sie an und rauchte.
„Ärger mit den Flics?“ fragte ich. „Sind die dir
geschäftlich in die Quere gekommen?“
Als ich Jacques zum ersten Mal gefragt hatte,
warum er die Karriere eines Zeitungsjungen gewählt habe, hatte er mir zur
Antwort gegeben:
„Eines Tages will ich im Elysée sitzen. Und da
führt nun mal kein Weg an dieser Knochenmühle vorbei.“
Jedenfalls sei das in Amerika so.
Staatspräsidenten und Aufsichtsräte hätten alle ihre Karriere damit begonnen,
durch den Regen zu laufen und die „Letzten Neuigkeiten“ herauszuschreien. Und
da er hoffe, daß sich diese Sitte auch in Europa bald durchsetzen werde, wolle
er zu den ersten Nachahmern gehören.
Im Augenblick ahmte er jedoch in erster Linie
den berüchtigten Al Capone nach (weswegen ich meinen kleinen Freund „den
Gangster“ nannte): Er besaß einen
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