Toedliche Spiele
seiner Schulter. »Peeta, wir müssen los.«
»Los?« Er scheint verwirrt. »Wohin denn?«
»Weg von hier. Stromabwärts vielleicht. Irgendwohin, wo wir uns verstecken können, bis du dich erholt hast«, sage ich. Ich helfe ihm beim Anziehen, nur die Schuhe lasse ich aus, damit wir durchs Wasser gehen können, und ziehe ihn hoch. Als er das Bein belastet, weicht die Farbe aus seinem Gesicht. »Vorwärts. Du kannst es.«
Aber er kann es nicht. Zumindest nicht lange. Auf meine Schulter gestützt, schafft er vielleicht fünfzig Meter den Bach hinunter, dann droht er ohnmächtig zu werden. Ich setze ihn am Ufer ab, drücke ihm seinen Kopf zwischen die Knie und tätschele unbeholfen seinen Rücken, während ich die Umgebung absuche. Am liebsten würde ich ihn natürlich auf einen Baum verfrachten, aber das ist unmöglich. Doch es könnte schlimmer sein. Ab und zu bilden die Felsen kleine Höhlen. Eine davon peile ich an, sie befindet sich rund zwanzig Meter oberhalb des Bachs. Halb führe ich, halb trage ich Peeta zur Höhle hinauf. Gern würde ich mich nach einem besseren Platz umsehen, aber wir werden mit diesem vorliebnehmen müssen, denn mein Verbündeter ist am Ende. Er ist kreidebleich, keucht und zittert, obwohl es erst ein wenig kühler geworden ist.
Ich bedecke den Höhlenboden mit einer Schicht aus Kiefernnadeln, breite meinen Schlafsack aus und stecke Peeta hinein. Als er es nicht merkt, flöße ich ihm ein paar Tabletten und etwas Wasser ein, aber das Trockenobst verweigert er. Danach liegt er einfach nur da und starrt mich an, während ich versuche, an der Höhlenöffnung aus wildem Wein eine Art Vorhang zu drapieren, um sie zu tarnen. Das Ergebnis ist nicht zufriedenstellend. Ein Tier könnte vielleicht darauf hereinfallen, aber ein Mensch würde im Nu erkennen, dass hier Hände am Werk waren. Frustriert reiße ich ihn herunter.
»Katniss«, sagt er. Ich gehe zu ihm und streiche ihm die Haare aus den Augen. »Danke, dass du mich gesucht hast.«
»Das hättest du doch auch getan«, sage ich. Seine Stirn lodert auf. Als wäre die Arznei völlig wirkungslos. Ganz plötzlich habe ich Angst, er könnte sterben.
»Stimmt. Hör zu, wenn ich es nicht nach Hause schaffe ...«, hebt er an.
»Sprich nicht so. Ich habe den ganzen Eiter doch nicht umsonst rausgelassen«, sage ich.
»Ich weiß. Aber nur für den Fall, dass ich nicht ...«, versucht er es wieder.
»Nein, Peeta, ich will nicht mal drüber reden«, sage ich und lege meine Finger auf seine Lippen, damit er schweigt. »Aber ich ...«, beharrt er.
Spontan beuge ich mich vor und küsse ihn, jetzt kann er nichts mehr sagen. Das ist wahrscheinlich sowieso überfällig, denn wie er schon richtig bemerkt hat, sollen wir ja völlig ineinander verknallt tun. Es ist das erste Mal überhaupt, dass ich einen Jungen küsse, was wohl irgendeinen Eindruck machen sollte, aber ich merke nur, dass seine Lippen vom Fieber unnatürlich heiß sind. Ich löse mich und packe ihn gut in den Schlafsack ein. »Du wirst nicht sterben. Ich verbiete es. Verstanden?«
»Verstanden«, flüstert er.
Gerade als ich in die kühle Abendluft hinaustrete, segelt der Fallschirm vom Himmel herunter. Hastig öffne ich das Band, denn ich hoffe auf irgendeine richtige Arznei, mit der ich Peetas Bein behandeln kann. Stattdessen finde ich einen Topf heiße Brühe.
Eine deutlichere Botschaft hätte Haymitch mir nicht schicken können. Ein Kuss ist einen Topf Brühe wert. Ich kann sein Knurren fast hören. »Du sollst die Verliebte spielen, Süße. Der Junge liegt im Sterben. Gib mir etwas, womit ich arbeiten kann.«
Und es stimmt ja. Wenn ich will, dass Peeta überlebt, dann muss ich den Zuschauern etwas mehr bieten. Das tragische Liebespaar, das unbedingt zusammen heimkehren will. Zwei Herzen, die im selben Takt schlagen. Romantik.
Da ich noch nie verliebt war, wird das ziemlich schwierig werden. Ich denke an meine Eltern. An meinen Vater, der es nie versäumte, meiner Mutter etwas aus dem Wald mitzubringen. Daran, wie ihre Miene sich immer aufhellte, wenn sie seine Stiefel an der Tür hörte. Und dass sie beinahe aufhörte zu leben, als er starb.
»Peeta!« Ich versuche es in dem besonderen Ton zu sagen, den meine Mutter nur bei meinem Vater anschlug. Er ist schon wieder eingenickt, aber ich küsse ihn wach und er schreckt auf. Dann lächelt er, als wäre er glücklich, wenn er nur daliegen und mich für alle Zeiten anschauen könnte. Das macht er echt gut.
Ich halte den Topf hoch.
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