Tödliche Täuschung
dass Melville irgendetwas über sie herausgefunden hat?«, fragte sie.
»Nein, das glaube ich keineswegs. Ich vermute, er konnte den Gedanken an die Ehe einfach nicht ertragen, an die damit verbundene Vertrautheit, an den Verlust seiner Selbstständigkeit, die Verantwortung für einen anderen, das - das Gefühl, eingeengt zu sein, beobachtet zu werden, das Gefühl, dass ein anderer Mensch von einem abhängig ist…«, er breitete die Hände aus, »… die ganze… Palette der damit verbundenen Dinge!«
»Manche Menschen finden es recht angenehm, verheiratet zu sein«, sagte sie.
Er hörte den warnenden Tonfall in ihrer Stimme. Einen Augenblick lang schwankte er zwischen Ärger und Lachen. Dann setzte sich das Lachen durch.
Sie starrte ihn an. »Was ist da so komisch?«, fragte sie mit blitzenden Augen.
»Zwingen Sie mich nicht, es zu erklären!«, erwiderte er. »Das ist auch gar nicht nötig, Hester, denn Sie verstehen mich genau - so, wie ich Sie verstehe. Ich möchte etwas finden, das Rathbone verwenden kann, um Melville aus diesem Schlamassel herauszuhelfen. Er hat sich wie ein Idiot benommen, aber er hat es nicht verdient, dass man ihn dafür ruiniert. Wenn ich irgendeinen Makel entdecken könnte, würde Rathbone ihn nicht vor Gericht benutzen, sondern Lambert lediglich dazu bringen zu verhandeln, bevor es zu spät ist.«
Sie saß wieder so steif da, als hätte sie ein Lineal im Rücken.
»Ist es möglich, dass einer ihrer Flirts zu weit gegangen ist, dass das Resultat vielleicht eine kleine Verantwortungslosigkeit war?«
»Woher soll ich das wissen?«
»Nun, ihre Eltern würden gewiss nicht darüber reden«, sagte sie mit Überzeugung. »Ihr Vater würde wahrscheinlich nicht einmal etwas davon wissen, aber ihre Mutter durchaus. Mütter durchschauen ihre Töchter im Allgemeinen sehr gut.« Sie lächelte still vor sich hin, und ihr Blick schien auf einen Punkt weit in der Vergangenheit gerichtet zu sein. »Ich wollte ein rotes Kleid tragen. Da war dieser junge Mann, den ich einfach himmlisch fand. Er hatte rötliches Haar und einen prächtigen Schnurrbart…«
Monk konnte nur mit Mühe an sich halten. Er versuchte sich Hester mit sechzehn vorzustellen und verabscheute den jungen Mann mit dem Schnurrbart.
»Ich wollte Eindruck auf ihn machen«, fuhr sie fort. »Das Kleid war sehr gewagt. Er himmelte Lavinia Wentworth an. Sie hatte schwarzes Haar und Locken. Ich dachte, das rote Kleid würde alles entscheiden.« Ihr Lachen verriet echte Erheiterung, kein Selbstmitleid, kein Bedauern. Ihre Augen leuchteten. »Ich hätte schrecklich ausgesehen! Ich war so blass und viel zu knochig, um Rot zu tragen. Mama zwang mich zu Weiß und Grün. Der junge Mann mit dem Schnurrbart ignorierte mich völlig. Ich glaube nicht, dass er mich überhaupt bemerkt hat.«
»Lavinia Wentworth?« Er musste einfach fragen.
»Nein - es war Violet Grassmore.« Sie sagte das, als überrasche es sie noch immer. »Sie erzählte mir später, er hätte klebrige Hände gehabt und sei furchtbar langweilig gewesen. Lavinia Wentworth spazierte mit einem jungen Mann davon, der in einer Uniform steckte. Die beiden kamen sich sehr nah, aber er war aus irgendeinem Grund, an den ich mich nicht mehr erinnern kann, nicht standesgemäß. Lavinias Mutter brachte sie nach Brighton oder Hove oder sonst wohin.«
Sie fuhr zu ihm herum.
»Das ist es, wonach Sie suchen sollten! Eine Verbindung, der Zillahs Mutter ein Ende machte. Das wäre der richtige Ansatzpunkt.«
»Ich danke Ihnen. Diese Idee ist immerhin besser als gar nichts. Aber wir haben so wenig Zeit.«
»Dann verschwenden Sie sie besser nicht«, erwiderte sie , stand aber nicht auf. »Möchten Sie eine Tasse und vielleicht etwas zu essen, bevor Sie Ihre Suche beginnen?«
»Ja«, erwiderte er sofort. Er hatte tatsächlich großen Hunger und blickte seinen Nachforschungen mit wenig Begeisterung entgegen.
Er leistete Hester und Martha Jackson bei einer kalten Wildpastete mit sauer eingelegtem Gemüse und einer Kanne frischem Tee Gesellschaft und gönnte sich zum Schluss noch eine Portion Pflaumenpudding. Sie unterhielten sich über verschiedene Themen von sehr allgemeinem Interesse. Monk musste die ganze Zeit an sein Versprechen denken, nach Marthas Nichten zu suchen. Er hatte noch nicht einmal damit angefangen. Rathbones Fall würde sich nur noch ein oder zwei Tage hinziehen, dann konnte Monk mit seiner Suche nach den Mädchen beginnen.
Er lächelte Martha über den Tisch hinweg an, und
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