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Tödliche Täuschung

Tödliche Täuschung

Titel: Tödliche Täuschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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nichts.
    Dann zögerte sie kurz und akzeptierte schließlich seine Entscheidung. Sie wandte sich um, um Mrs. Hanning zu holen.
    Gabriel und Monk warteten schweigend auf den neuen Gast.
    Die Uhr tickte auf dem Kaminsims, und das Sonnenlicht, das durchs Fenster fiel, zeichnete Muster auf den Teppich. Ein Windstoß blähte die Vorhänge für einen Augenblick auf. Der Raum war plötzlich erfüllt vom Duft der Blätter und der Erde draußen.
    Kurz darauf trat Mrs. Hanning ein. Sie war eine auffällige, extravagante Frau mit einem ziemlich hochmütigen Gebaren. Sie hatte eine lange, gerade Nase, sehr volle Lippen und gerade Augenbrauen. Wären die Brauen gewölbt gewesen, hätte man sie als eine echte Schönheit bezeichnen können. Sie war, wie es sich für eine Witwe ziemte, schwarz gekleidet.
    Sie starrte Gabriel an, und es war offensichtlich, dass ihr die Worte fehlten. Sie schlug sich die behandschuhte Hand vor den Mund, als wolle sie einen Schrei unterdrücken.
    Perdita, die hinter ihr stand, war den Tränen nahe. Sie litt mit Gabriel und wusste nicht, was sie sagen oder wie sie ihn schützen konnte.
    Gabriel vermittelte einen Moment lang den Eindruck eines Menschen, der sich selbst zum ersten Mal mit den Augen eines anderen sah. Monk versuchte sich vorzustellen, was für ein Gefühl das sein musste. Monk sah es als seine Pflicht an, etwas zu sagen. Er stand auf und lächelte Mrs. Hanning an.
    »Guten Tag, Mrs. Hanning. Mein Name ist William Monk.« Er reichte ihr die Hand. »Ich bin ein Freund von Gabriel, und hier, um seinen Rat zu einem kleinen Problem einzuholen, das ich für einen Freund lösen soll. Im Augenblick habe ich noch nicht viel erreicht.«
    Mrs. Hanning hielt die Luft an. »Oh… wirklich? Das tut mir Leid, Mr…. Monk.« Sie war sich unschlüssig darüber, ob sie erleichtert oder verärgert sein sollte, dass sie mit ihm spreche n musste. Fest stand für sie nur, dass sie kein Interesse an ihm hatte. Ihre Stimme klang flach und übertrieben höflich. »Wie unangenehm.«
    »Er hat mir sehr geholfen, meine Gedanken zu ordnen«, fuhr er fort, als sei ihre Antwort überaus charmant gewesen.
    Der Wortwechsel hatte lange genug gedauert, um Gabriel Zeit zu geben, sich wieder zu fassen.
    „Guten Morgen, Mrs. Hanning. Wie freundlich von Ihnen, mich aufzusuchen.« Seine Stimme zitterte ein wenig, und er musste sich zwingen, ihr in die Augen zu blicken.
    »Es war…« Sie war drauf und dran gewesen , ›Pflichterfüllung‹ zu sagen, besann sich dann aber eines Besseren. Sie versuchte ihn ganz normal anzusehen, was ihr misslang. Sie heftete den Blick starr auf seine Augen. »Ich hatte schon lange die Absicht zu kommen«, fügte sie schwach hinzu.
    »Ich hatte bisher nur… ähm…«
    »Selbstverständlich«, sagte er in dem Bemühen, ihr zu helfen.
    »Wir alle waren furchtbar getroffen, als wir von Major Hannings Tod bei Gwalior erfuhren. Wir haben so viele Freunde verloren, dass es den Anschein hatte, als würde die Trauer niemals enden - als würde es nur immer schlimmer werden.«
    »Ja…« Sie wusste noch immer nicht, was sie sagen sollte. »Es muss schrecklich für Sie gewesen sein. Mein Mann…«, sie schluckte hörbar, »…mein Mann hat immer mit größter Hochachtung von Ihnen gesprochen.« Ihre Worte klangen steif , als sei sie die Gattin eines ranghöheren Offiziers, die einen Pflichtbesuch machte, obwohl sie nicht die geringste Vorstellung von den Ereignissen oder Gefühlen hatte, von denen sie sprach.
    Wo war Hester? Ihr würde gewiss etwas einfallen, um die Situation zu retten. Monk erblickte über Mrs. Hannings Schulter hinweg zuerst die aschfahle Perdita und dann Hester, die hinter ihr stand. Sie schüttelte kaum merklich den Kopf.
    Er nickte und presste die Lippen zusammen. Warum ließ sie das zu? Es war qualvoll!
    »Das ist typisch für ihn«, antwortete Gabriel, der Mrs. Hannings Blick weiterhin standhielt. »Er war ein großherziger Mann. Wir waren gute Freunde und haben zusammen viele Kämpfe durchgestanden. Wir hatten gemeinsame Freunde, gute Freunde… die wir verloren haben. Er hat Indien geliebt, das Land, die Nächte, die Gerüche der Gewürze und des Staubs und der vielen Dinge, die dort wuchsen.« Er lächelte ein wenig, und seine Stimme wurde weich. »Wenn man die Hitze und das Leben des Dschungels einmal erlebt hat, vergisst man es nie wieder. Oder die Märkte. Der Lärm, die…« Er hielt abrupt inne. Sie konnte ihm nicht glauben. Im Gegensatz zu Perdita war sie in Indien gewesen,

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