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Tödliche Täuschung

Tödliche Täuschung

Titel: Tödliche Täuschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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hatte aber nur die abgeschirmten Bergfestungen kennen gelernt, und dort war sie nur mit den anderen Offiziersgattinnen zusammen gewesen.
    »Ich glaube, Sie - Sie irren sich. Sie müssen ihn mit jemand anderem verwechselt haben.« Sie zwang sich, sein Lächeln zu erwidern, als hätte sie sich ins Gedächtnis gerufen, dass er verwundet war. Vielleicht hatte ja auch sein Gehirn Schaden erlitten. Ja, das würde alles erklären. Die Gedanken waren so deutlich von ihrem Gesicht abzulesen, als hätte sie sie laut ausgesprochen.
    Monk sah Hester an. Sie schwieg immer noch.
    Perdita machte einen Schritt ins Zimmer hinein. Sie hatte die Arme verschränkt, und ihre Stimme zitterte.
    »Sie scheinen Indien nicht gemocht zu haben, Mrs. Hanning. Das tut mir Leid. Ich bin leider nie dort gewesen, aber ich dachte immer, dass mir das Land gefallen würde. Gabriel hat so wunderbare Briefe geschrieben, und ich habe vor kurzem ein Buch über die indische Geschichte gelesen. Natürlich betrifft das meiste, was ich weiß, die Zeit nach dem Erscheinen der Briten im Land, aber ich habe auch ein klein wenig über die Jahre davor erfahren. Das hätte ich schon lange tun sollen…« Sie bedachte Mrs. Hanning mit einem trotzigen Lächeln, als wolle sie sie herausfordern, ihr zu widersprechen. Sie ging noch weiter ins Zimmer hinein. »Ich hätte Gabriel eine bessere Gefährtin sein sollen.«
    Mrs. Hanning holte Luft. Es ließ sich unmöglich feststellen , ob sie sich gekränkt fühlte oder nicht.
    Perdita wusste, was sie getan hatte, war aber nicht bereit, auch nur einen Schritt zurückzuweichen.
    »Da ich ihn damals nicht begleitet habe, ist es das Mindeste, was ich heute tun kann.« Sie lächelte und reckte das Kinn noch eine Spur höher.
    »Aber sicher, wenn Sie glauben, es sei Ihre Pflicht.« Mrs.
    Hanning erwiderte ihr Lächeln, beinahe ohne die Lippen zu bewegen. »Dann wird es Ihnen zweifellos Trost schenken. Es freut mich, dass Sie etwas gefunden haben… in Ihrer Situation…. meine Liebe.«
    »Es geht mir nicht um Pflicht«, korrigierte Perdita sie. »Es ist mir eine Freude, und natürlich nimmt es mich sehr mit, von all dem Leid zu erfahren, von den Ungerechtigkeiten…«
    »Sie meinen die Barbarei der Inder - ihre Undankbarkeit« , beendete Mrs. Hanning ihren Satz.
    »Nein, ich meinte die Ungerechtigkeiten, die wir den Indern gegenüber begangen haben«, widersprach Perdita. »Ich glaube nicht, dass es falsch ist, sein eigenes Land zu verteidigen. Ich würde England gewiss verteidigen wollen, wenn indische Armeen hier einrückten und versuchten, uns zu einem Teil ihres Reichs zu machen…«
    Mrs. Hanning lachte. »Das ist wohl kaum dasselbe, meine Liebe! Die Inder sind Barbaren. Wir sind Engländer.«
    »Ich glaube, wenn Sie die Berichte über einige unserer Eroberungen lesen, würden Sie feststellen, dass wir ebenfalls Barbaren sind.« Perdita ließ nicht locker. »Wir verstehen uns einfach nur besser auf dieses Geschäft.«
    »Sie sind noch sehr jung«, entgegnete Mrs. Hanning geduldig.
    »Vielleicht sollte jemand Sie bei der Auswahl einer passenden Lektüre beraten.« Ihre Stimme wurde leiser. »Aber Ihr Arzt wird Ihnen gewiss sagen, dass Lieutenant Sheldon Ruhe braucht, ein stilles, liebevolles Heim und eine Ehefrau, die ihm ein wenig Klaviermusik vorspielt oder angenehme Dinge vorliest, statt ihn über die Geschichte Indiens zu belehren. Erlauben Sie mir, Sie diesbezüglich ein wenig anzuleiten, meine Liebe.«
    »Vielen Dank«, entgegnete Perdita. »Ihre Absichten sind gewiss die besten, und es ist sehr freundlich von Ihnen, dass Sie uns besucht haben, aber ich möchte mehr über Indien erfahren, damit ich eine verständige Gesprächspartnerin sein kann, falls Gabriel darüber zu reden wünscht.«
    »Ich denke, Sie werden feststellen, dass er Sanftmut braucht, nicht Intelligenz«, sagte Mrs. Hanning mit selbstsicherem Lächeln. »Ein Mann hat nicht den Wunsch, mit seiner Frau über ernste Themen zu diskutieren. Dafür gibt es Freunde und Kollegen - Gentlemen wie Mr. Monk.« Sie warf ihm einen kurzen Blick zu.
    Monk sah wiederum Hester an. In ihren Augen blitzte Befriedigung auf. Sie empfand Stolz für Perdita und Gabriel , und der Sieg der beiden war ihr Sieg. Ihm war bisher nicht klar gewesen, wie viel Gefühl sie in ihre Arbeit investierte, wie tief ihre Zuneigung zu ihren Patienten war. Diese Erkenntnis erfüllte ihn mit Bewunderung für sie, gleichzeitig aber auch mit Neid, weil dieses Verhalten so vorbehaltlos und

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