Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tödliche Täuschung

Tödliche Täuschung

Titel: Tödliche Täuschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
hätte er Rathbone warnen können, und diesem wäre es vielleicht gelungen, Melville zu einem Vergleich zu überreden.
    »Es tut mir Leid«, entschuldigte er sich. »Ich habe nach Frauen Ausschau gehalten. An so etwas habe ich nie gedacht. Hätte es aber tun müssen.«
    Rathbone zuckte mit den Schultern. »Ich auch.« Er sah sich um und lächelte. »Wir haben keine besonders gute Figur gemacht, wie?«
    Sie standen eine Weile schweigend nebeneinander vor dem Kamin, bis es an der Tür klopfte und der Lakai mit bleichem Gesicht und aufgerissenen Augen eintrat.
    »Sir Oliver.« Seine Stimme bebte. »Ich fürchte, Sir, ich habe gerade eine Nachricht erhalten… Sir…«
    »Ja?«
    Monk ballte die Fäuste und spürte, wie eine Woge der Kälte durch seinen Körper lief.
    »Es tut mir Leid, Sir«, fuhr der Lakai, inzwischen nur noch flüsternd, fort. »Aber man hat Mr. Melville aufgefunden. Tot.«
    Rathbone starrte ihn an.
    »Es tut mir Leid, Sir Oliver. Ich fürchte, jeder Zweifel ist ausgeschlossen.«
    Rathbone schloss die Augen und sah eine Sekunde lang so aus, als werde er in Ohnmacht fallen.
    Monk machte einen Schritt auf ihn zu.
    Rathbone hob die Hände und wehrte ihn ab. Er rieb sich die Augen. »Danke, dass Sie mir Bescheid gesagt haben. Das ist alles.«
    »Sehr wohl, Sir.« Der Mann zog sich diskret zurück.
    Rathbone, aus dessen Gesicht jegliche Farbe gewichen war, drehte sich zu Monk um. Die tiefen Schatten unter seinen Augen verrieten Trauer und Schuldgefühle.

8
    Als Rathbone am nächsten Morgen den Gerichtssaal betrat, war er noch erschöpft von einer der schlimmsten Nächte, die er je erlebt hatte. Er und Monk waren unverzüglich zu Melvilles Wohnung gefahren, wo Isaac Wolff ihnen mit grauem Gesicht die Tür geöffnet hatte. Es gab nichts mehr zu tun. Er hatte einen Arzt gerufen, der vermutete, dass der Tod durch Gift verursacht worden sei. Er sprach von Belladonna, aber um sicher zu sein, würde es einer vollständigen Autopsie bedürfen.
    Niemand erwähnte das Wort Selbstmord, aber es hing unausgesprochen in der Luft. Niemand nimmt versehentlich Belladonna. Melvilles Gesundheitszustand war ausgezeichnet gewesen, besser als der der meisten Menschen. Er nahm keinerlei Medikamente.
    Natürlich hatte man die Polizei hinzugezogen. Man brauchte Gewissheit. Nicht einmal dies konnte vor den Augen der Öffentlichkeit verborgen werden. Selbstmord war ein Verbrechen.
    Jetzt war alles verloren, nicht nur in persönlicher Hinsicht:
    Die Welt war eines der größten und kreativsten Geister dieser Zeit verlustig gegangen. In Rathbones Fall kam noch die Scham über sein eigenes Versagen hinzu, weil er dies nicht hatte verhindern können. Seine Schuldgefühle drückten ihn nieder, während er sich daran machte, die letzten juristischen Formalitäten für die Beendigung dieses Falls zu erledigen. Und neben alldem erfüllte ihn ein so gewaltiger Zorn, dass er sich innerlich vollkommen verkrampfte. Als er die Stufen zum Gerichtsgebäude hinaufstieg und durch die Korridore ging, nahm er weder Kollegen noch Schreiber oder Gerichtsdiener wahr. Seine Schritte hallten laut über den steinernen Fußboden, seine Haltung war steif, und seine Fingernägel gruben sich tief in die Innenfläche seiner Hände.
    Er betrat den Gerichtssaal, wo ihn missbilligendes Gemurmel empfing, gerade in dem Moment, als man seine Verspätung festgestellt hatte. Sacheverall fuhr herum, und in seinem Gesicht leuchtete Triumph auf. Er zog nicht einmal in Erwägung, dass Rathbone etwas gegen ihn in der Hand haben könnte. Rathbones Zorn verwandelte sich in Hass, ein Gefühl, das ihm unvertraut war. Er bemerkte, dass Sacheverall Zillah zulächelte, und sah auch den unsicheren Blick, mit dem sie darauf reagierte. Plötzlich ging Rathbone auf, dass Sacheverall selbst ihr den Hof machte! Sein Interesse war nicht zu übersehen, weder der begierige Ausdruck in seinen Augen noch sein energisches, beinahe erregtes Auftreten, wenn er ihren Namen aussprach oder auch nur in ihre Nähe kam.
    Sacheverall sah Rathbone an und nickte ihm mit leuchtenden Augen zu. Wenn er in Rathbones Gesicht irgendetwas lesen konnte, so hatte er es gewiss als Niederlage gewertet. In seiner Miene lag keine Spur ängstlicher Erwartung.
    »Ich entschuldige mich, Mylord, dass ich das Gericht habe warten lassen«, wandte Rathbone sich hastig an den Richter.
    »Ich wurde von Umständen aufgeha lten, die sich meiner Kontrolle entzogen.«
    Sacheverall gab ein leises Geräusch von sich, nicht mehr als

Weitere Kostenlose Bücher