Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tödliche Täuschung

Tödliche Täuschung

Titel: Tödliche Täuschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
ging fort. Sie hat uns nicht gesagt, wohin. Ich nehme an, dass sie es wollte, aber irgendetwas in ihr ist einfach… zerbrochen.« Sie sah Hester an, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Ich hätte die Mädchen zu mir genommen, wenn es mir möglich gewesen wäre. Aber ich war ja in Stellung. Für zwei kleine Kinder gab es da keinen Platz. Phemie war kaum drei und Leda erst ein Jahr alt… Und - und es waren keine hübschen Kinder. Sie waren… entstellt. Und sie konnten nicht hören, daher würden sie niemals zu etwas nutze sein.« Hester nahm Martha in die Arme, drückte ihren mageren Leib eng an sich und spürte, wie das trockene Schluchzen die andere Frau schüttelte.
    »Natürlich konnten Sie nichts tun«, sagte sie sanft. »Sie mussten arbeiten, um zu leben. Wie wir alle. Manchmal ist das schon schwer genug. Denn welchen Nutzen hat man noch für andere, wenn man sein eigenes Leben nicht bewältigt?«
    »Ich wünschte, ich hätte gewusst, wo sie waren!«, sagte Martha verzweifelt. »Ich sehe Lieutenant Sheldon mit seinem Gesicht, das so verunstaltet ist, und ich sehe den Ausdruck in Perditas Augen, und sie war so verliebt in ihn… und jetzt ist sie kaum mehr in der Lage, ihn direkt anzusehen, geschweige denn, ihn zu berühren… Und ich frage mich, was aus diesen armen kleinen Seelen geworden ist. Ich hätte eine Möglichkeit finden müssen, ihnen zu helfen! Wer wird sie lieben, wenn nicht ich?«
    »Ich weiß es nicht«, antwortete Hester aufrichtig. Falsche Worte des Trostes würden Martha nur das Gefühl geben, sie hätte sie nicht verstanden. Sie drückte sie noch fester an sich.
    »Wir können nicht ändern, was bereits geschehen ist, aber wir können versuchen, Gabriel und Perdita zu helfen. Sie muss lernen, ihn zu verstehen, hinter seinem entstellten Gesicht den Mann zu sehen, den sie geliebt hat. Zum Teufel mit Athol Sheldon und seiner Ansicht.«
    Martha stieß ein hektisches kleines Lachen aus, das halb erstickt klang. »Er meint es nur gut«, sagte sie, richtete sich auf und strich sich ein paar Strähnen zurück, die sich aus den Nadeln gelöst hatten. »Ihm ist nur nicht klar…«
    Hester schenkte frischen Tee ein, der noch immer heiß war und köstlich duftete, und reichte eine der Tassen Martha.
    Martha lächelte, holte ein Taschentuch heraus und putzte sich die Nase.
    Hester nippte an ihrem Tee und nahm sich einen Keks.
    »Vielen Dank übrigens, dass Sie mir den Brief nach oben gebracht haben«, sagte sie beiläufig. »Er kommt aus Schottland. Waren Sie schon mal dort?«

3
    Die Lamberts ließen sich auf keinerlei Vermittlungsversuche ein. Killian Melville wurde wegen Gelöbnisbruchs verklagt, und der Fall kam schon sehr bald zur Verhandlung. Das Ganze ging natürlich nicht ohne Klatsch und Tratsch und Spekulationen ab. Ein solches Ereignis hatte es in der Gesellschaft schon lange nicht mehr gegeben, und es war in aller Munde.
    Oliver Rathbone hatte sein Wort gegeben, Melville zu verteidigen, und obwohl er nach wie vor keine weiteren Informationen hatte, die er hätte nutzen können, saß er mit gelassener Miene und einem ruhigen Lächeln im Gerichtssaal. Der Gegner, mit dem er es aufnehmen musste, hieß Wystan Sacheverall; er war für Miss Zillah Lambert tätig, wurde aber natürlich von deren Eltern bezahlt und bekam von ihnen seine Anweisungen.
    Die Geschworenen waren bereits ausgewählt worden:
    Allesamt Männer, denen ihr Amt diesmal noch größere Verlegenheit bereitete als gewöhnlich und die - was selbst dem oberflächlichsten Beobachter ins Auge fallen musste - wünschten, sie wären nicht in eine so private Angelegenheit hineingezogen worden. Rathbone musterte sie und fragte sich, wie viele von ihnen wohl eigene Töchter haben mochten. Ungefähr die Hälfte dieser Männer waren in einem Alter, in dem sie sich durchaus über die Eheschließungen ihrer Kinder Gedanken machen konnten. Waren ihre eigenen Ehen glücklich? Hatten sie innerhalb ihrer Familie Erfahrungen gemacht, die sie auch anderen wünschen würden? So vieles hing von Dingen ab, über die Rathbone nichts wusste. Für ihn würden sie wohlhabende Männer bleiben, die sich im Hinblick auf Alter, Aussehen und Charakter unterschieden und die nur zwei Dinge gemeinsam hatten: den guten Ruf und die finanziellen Mittel , um zum Geschworenen berufen zu werden.
    Der Richter war ein relativ kleiner Mann mit sanften Gesichtszügen und bemerkenswert ruhigen, freimütigen blauen Augen. Er sprach sehr leise, sodass man genau zuhören

Weitere Kostenlose Bücher