Tödliche Täuschung
mir vorsprechen, um sich mit mir zu beraten. Er war sehr gewissenhaft. Hat nichts dem Zufall überlassen.«
»Kein unvorsichtiger Mann?«, bemerkte Sacheverall.
Rathbone wusste, was sein Gegner vorhatte, aber er konnte ihn nicht aufhalten. Er betrachtete die Gesichter der Geschworenen. Es waren alle wohlhabende Männer, sonst säßen sie nicht auf ihren Plätzen. Sie würden Lamberts Gefühle verstehen und sich mit ihm identifizieren, selbst wenn ihre eigenen Häuser bedeutend kleiner waren.
»Ganz und gar nicht«, sagte Lambert mit Nachdruck. »Ich hätte doch keinen unvorsichtigen Mann eingestellt. Ich wäre nicht da, wo ich heute bin, Sir, wenn ich die beruflichen Fähigkeiten eines Mannes nicht richtig einschätze n könnte.« Er holte noch einmal tief Luft, als ringe er um Fassung. »Und ich dachte bisher immer, ich könnte auch den persönlichen Charakter eines Mannes einschätzen. Ich hätte geschworen, dass Melville so ehrenhaft ist wie nur irgendein anderer aus meinem Bekanntenkreis. Aber jetzt sieht es so aus, als wäre ich doch nicht so klug, wie ich dachte, nicht wahr?«
»Ich fürchte, so ist es, Sir«, erklärte Sacheverall. »Haben Sie Melville mit Ihrer Familie und vor allem mit Ihrer Tochter, Miss Zillah Lambert, bekannt gemacht?«
»Ja.«
»Verzeihen Sie mir diese Frage, Sir, die natürlich zutiefst taktlos klingen muss, aber haben Sie Mr. Melville als einen gesellschaftlich akzeptablen Mann, einen passenden Gefährten für Ihre Tochter, einen Freund vorgestellt - oder als einen Angestellten, einen Mann vom minderem Rang?«
»Nein, natürlich nicht!« Barton Lambert war gekränkt. Wenn man ihm etwas nicht vorwerfen konnte, dann Arroganz. Niemand beeindruckte ihn auf Grund seiner Geburt oder seines Rangs, außer Ihrer Majestät der Königin, denn er war zutiefst patriotisch, und sie war das Oberhaupt seines Landes. »Killian Melville musste sich seines Standes nicht schämen, und deshalb habe ich ihn in diesem Sinne vorgestellt«, sagte er scharf.
»Meine Tochter wurde dazu erzogen, einen Mann zu achten, der sich seinen Wohlstand selbst erarbeitet und die Welt dadurch bereichert.« In diesen Worten schwang eine Herausforderung mit, und er drehte sich auf seinem Stuhl in Richtung der Geschworenen, um Blickkontakt aufzunehmen, während er sprach. Wenn er schon vor den Herren der Gesellschaft die Schmach seiner Familie enthüllen musste, würde er das erhobenen Hauptes tun und dafür sorgen, dass niemand seine Prinzipien missverstand.
Gegen seinen Willen hatte der Mann Rathbone bereits für sich eingenommen.
»Ganz recht«, nickte Sacheverall und deutete dabei mit dem Kopf kaum merklich in Richtung der Geschworenen. »Sie haben ihn als Gleichen unter Gleichen in Ihr Haus eingeführt und mit Ihrer Familie bekannt gemacht. Sie haben ihm uneingeschränkte Gastfreundschaft gewährt.« Das war eine Feststellung, keine Frage. Dann kam er zur Sache. »Und in der Folgezeit hat er sich mit Ihrer Frau und Ihrer Tochter angefreundet?«
»Das hat er.«
»Er kam regelmäßig zu Besuch und fühlte sich in Ihrer Gesellschaft wohl…« Sacheverall sah kurz zu Rathbone hinüber. »Oder sollte ich sagen, er schien sich wohl zu fühlen«, korrigierte er sich.
»Ja, Sir.«
»Sie haben eine Zuneigung zu ihm gefasst?«
»Ich konnte ihn schon immer gut leiden«, räumte Lambert ein. In der ganzen Zeit im Zeugenstand hatte er Melville kein einziges Mal angesehen. Rathbone war sich dessen zutiefst bewusst, und er war überzeugt, dass dasselbe für Melville galt.
»Haben Sie ihn auch zu gesellschaftlichen Anlässen außerhalb Ihres Hauses mitgenommen?«
»Von Zeit zu Zeit. Er war nicht der Mann, der ständig auswärts speisen und höfliche Konversation machen wollte, und ich glaube auch nicht, dass er getanzt hat.«
Rathbone stand auf. »Mylord, niemand bestreitet, dass Mr. Lambert und seine Familie Mr. Melville gegenüber großzügig und freundlich gewesen sind und ihm größte Gastfreundschaft erwiesen haben oder dass Mr. Melville seinerseits Ihnen dafür dankbar war und Ihnen die größte persönliche Wertschätzung entgegenbrachte. Das einzig Wesentliche ist die Frage, ob er sich im Stande fühlt, Miss Lambert zu heiraten, ob er es jemals gewünscht und ob er sich mit einer solchen Übereinkunft jemals einverstanden erklärt hat. Mr. Melville erklärt, dass Miss Lambert das Wesen seiner Wertschätzung für sie missverstanden habe und dass Mrs. Lambert etwas unterstellt hat, das nicht den Tatsachen
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