Tödliche Täuschung
hatte. Sie trug Dunkelblau, was ihrem Teint schmeichelte, und die gewaltigen Röcke mit ihren Krinolinenreifen betonten ihre noch immer schmale Taille. Sie hatte wegen der schmalen Treppenstufen ein wenig Mühe, den Zeugenstand zu erklimmen, und wandte sich dann dem Gerichtsdiener zu, der ihr den Eid abnahm.
Sacheverall entschuldigte sich im Voraus für den Kummer, den es ihr bereiten würde, über ein so heikles Thema sprechen zu müssen. Es gelang ihm anzudeuten, dass auch das Melvilles Schuld sei, bevor er zu seiner ersten Frage kam.
»Mrs. Lambert, Sie waren zugegen, während sich die Beziehung zwischen Mr. Melville und Ihrer Tochter entwickelt hat?«
»Selbstverständlich!« Ihre Augen weiteten sich. »Es ist üblich, dass eine Mutter ihre Tochter in solchen Zeiten beaufsichtigt. Ich habe nur die eine Tochter, daher war es für mich nicht weiter schwierig.«
»Sie haben also alles gesehen, was vor sich gegangen ist?« , hakte Sache verall noch einmal nach.
»Ja«, nickte sie. »Und ich versichere Ihnen, dass es niemals irgendeine Ungehörigkeit gegeben hat. Ich habe mich für eine gute Menschenkennerin gehalten, aber man hat mich gänzlich hinters Licht geführt.« Sie sah verwirrt und unschuldig aus, als könne sie noch immer nicht begreifen, was vorgefallen war.
Rathbone fragte sich, ob Sacheverall sie brillant auf ihre Rolle vorbereitet oder ob er in ihr einfach die perfekte Zeugin gefunden hatte.
Sacheverall war zu gerissen, um auf dem Punkt herumzureiten. Die Geschworenen hatten sie gesehen. Er versagte es sich sogar, einen Blick in Rathbones Richtung zu werfen.
»Mrs. Lambert«, fuhr er fort. »Wären Sie so freundlich, uns eine typische Begegnung zwischen Miss Lambert und Mr. Melville zu beschreiben, eine Begegnung, die nach Ihrem besten Wissen so charakteristisch wie möglich war.«
»Aber gewiss, wenn Sie wünschen.« Sie drückte die Schultern noch weiter durch, ohne dabei auch nur im Mindesten zu übertreiben. Diese Geste war keine Effekthascherei. Das Ganze war eine Tortur für sie. Ihre Haltung und ihre Stimme waren voller Angst, und sie war sich dessen bewusst, welch dunklen Schatten dies auf die Zukunft ihrer Tochter werfen musste.
Wieder verspürte Rathbone Zorn darüber, dass Melville es überhaupt so weit hatte kommen lassen. Er war nicht nur ein Narr, sondern auch verantwortungslos. Er sah sich nach seinem Mandanten um, der auf dem Stuhl neben ihm saß und Rathbones Blick auswich. Er schien in seiner eigenen Welt gefangen zu sein.
Das Gericht wartete. Delphine Lambert hatte entschieden, über welche Episode sie sprechen wollte, und begann nun: »Mr. Melville war bei uns gewesen, um mit meinem Gatten über eine bauliche Angelegenheit zu sprechen - ich glaube, es hatte etwas mit Erkerfenstern zu tun. Mein Mann verließ das Haus, und Mr. Melville kam nach unten in den Salon, um mit Zillah und mir den Tee zu nehmen. Das war im letzten Herbst. Es war einer dieser goldenen Tage, an denen alles von solch zauberhafter Schönheit ist, und man weiß, dass es nic ht von Dauer sein kann.«
Sie blinzelte und gab sich alle Mühe, Gefühle zu beherrschen, die offensichtlich noch sehr frisch waren.
Sacheverall ließ ihr Zeit.
»Wir haben über alle möglichen belanglosen Dinge geplaudert«, fuhr Delphine fort. »Ich erinnere mich, dass Killian - Mr. Melville - in dem Sessel neben dem Sofa Platz genommen hatte. Zillah saß auf dem Sofa, und ihre Röcke waren wie eine Wolke, die sie einhüllte. Sie trug Rosa und sah sehr hübsch aus.« Ihr Blick wurde weich bei der Erinnerung. »Er machte eine Bemerkung darüber. Das hätte jeder getan. Wenn Sie sie sehen, werden Sie es verstehen. Wir haben uns unterhalten und miteinander gelacht. Er interessierte sich für alles.« In ihren Worten schwang noch die Überraschung mit, die sie damals empfunden hatte. »Jede Einzelheit schien ihm zu gefallen. Zillah erzählte ihm von einem Fest, an dem sie teilgenommen hatte, und sie gab einige Anekdoten zum Besten, die wirklich ausgesprochen komisch waren. Ich fürchte, wir waren vielleicht eine Spur zu kritisch, und unsere Erheiterung war nicht immer sehr freundlich…. aber wir haben so gelacht, dass uns die Tränen über die Wangen liefen.« Sie lächelte und blinzelte, als wollten die Tränen auch jetzt wieder kommen, aber diesmal aus Kummer. »Zillah hat die wunderbare Gabe, Leute perfekt zu imitieren, und Killian war davon begeistert. Es mag vielleicht nicht sehr damenhaft sein«, entschuldigte sie sich,
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