Tödliche Unschuld
vertragen. Hören Sie mir zu, Troy. Sie sind ein guter Polizist, und mit zunehmender Erfahrung werden Sie noch besser werden. Es soll keinem von uns leicht fallen, jemanden zu töten. Wir dürfen die Tötung eines Menschen nicht mit einem Schulterzucken abtun, wenn wir nicht so werden wollen wie die Typen, denen wir das Handwerk legen müssen, weil sie auf der anderen Seite stehen.«
»Ich wünschte … ich wünschte mir, es hätte einen anderen Weg gegeben.«
»Gab es aber nicht, und das dürfen Sie nicht vergessen. Es ist völlig in Ordnung, wenn es Ihnen leidtut und wenn Sie sogar leichte Schuldgefühle haben. Aber es ist nicht okay, wenn Sie nicht hundertprozentig davon überzeugt sind, dass das, was Sie getan haben, unter den gegebenen Umständen effektiv nicht zu vermeiden war. Wenn Sie die Prüfer merken lassen, dass Sie sich nicht völlig sicher sind, werden sie Sie in lauter kleine Stücke reißen, wie ein Leopard eine Gazelle«, machte sie ihm eindringlich klar.
»Ich hatte keine andere Wahl.« Er hielt den Becher fest umklammert, als befürchte er, er spränge ihm aus der Hand. »Lieutenant, ich habe die Szene letzte Nacht aus hundert verschiedenen Perspektiven durchgespielt. Ich hätte nichts anderes tun können. Er hätte nicht nur diese Frau, sondern wahrscheinlich auch mich und jeden anderen, der ihm in die Quere gekommen wäre, umgebracht. Aber trotzdem sind mir Fehler unterlaufen. Ich hätte vor Betreten des Gebäudes Verstärkung rufen müssen, und ich hätte den Vorfall nicht Ihnen, sondern der Zentrale melden sollen«, räumte er unglücklich ein.
»Ja, das war verkehrt.« Sie nickte, denn es freute sie, dass er von selbst darauf gekommen war. »Keins von beidem hätte am Ausgang der Geschichte irgendwas geändert. Aber trotzdem waren es zwei Fehler, die Ihnen durchaus anzukreiden sind. Warum haben Sie keine Verstärkung angefordert?«
»Ich habe spontan auf die Hilferufe reagiert. Die Frau schien unmittelbar in Gefahr zu sein. Auf dem Weg nach oben habe ich gerufen, dass jemand die Polizei anrufen soll, aber ich hätte es selber machen sollen, statt darauf zu vertrauen, dass jemand anderes es tut.
Wenn es mir nicht gelungen wäre, den Mann unschädlich zu machen, hätte die fehlende Verstärkung vielleicht dazu geführt, dass noch mehr Menschen gestorben wären.«
»Gut. Sie haben Ihre Lektion gelernt. Und warum haben Sie mich angerufen und nicht die Zentrale?«
»Ich war … Lieutenant, ich war völlig durcheinander. Als mir bewusst geworden ist, dass die beiden Männer tot waren, dass ich den Angreifer getötet hatte, habe ich -«
»Sie waren noch desorientiert von den Schlägen, die Sie selber abbekommen hatten«, erklärte sie ihm knapp. »Sie hatten die Befürchtung, eventuell ohnmächtig zu werden. Ihr erster Gedanke war, die beiden Toten zu melden, und das haben Sie getan, indem Sie die Leiterin des Morddezernates angerufen haben, für die Sie schon des Öfteren tätig gewesen sind. Haben Sie verstanden, Trueheart?«
»Ja, Madam.«
»Sie waren psychisch und physisch erschöpft. Die Vorgesetzte, der Sie die Situation geschildert haben, hat Sie angewiesen, den Tatort zu sichern und dort auf sie zu warten.
Das haben Sie getan.«
»Es war gegen die Vorschrift.«
»Ja, aber trotzdem stellen Sie es so dar. Vergessen Sie es nicht. Schließlich habe ich Sie nicht von den Leichensammlern hierher versetzen lassen, um jetzt mit anzusehen, wie es mit Ihnen den Bach hinuntergeht.«
»Ich werde bestimmt für dreißig Tage suspendiert.«
»Vielleicht. Möglich.«
»Damit komme ich zurecht. Hauptsache, dass ich meinen Dienstausweis nicht ganz abgeben muss.«
»Das müssen Sie ganz sicher nicht. Und jetzt melden Sie sich zur psychologischen Begutachtung.« Sie stand auf. »Zeigen Sie ihnen, aus welchem Holz Sie geschnitzt sind, Officer.«
Sie rief noch mal bei Morris an, und als sie ihn noch immer nicht erreichte, beschloss sie, sich Peabody zu schnappen und persönlich bei ihm vorbeizuschauen. Erst aber wollte sie noch kurz zu Feeney, um sich zu erkundigen, ob bei der Untersuchung des Computers bereits etwas herausgekommen war.
Die Abteilung für elektronische Ermittlungen war eine völlig andere Welt. Wie irgendjemand seine Arbeit machen konnte, während Dutzende Kollegen durch die Gegend liefen und gleichzeitig in ihre Headsets sprachen oder in ihren Arbeitsecken hockten und dort lautstark mit den Computern stritten, würde sie nie verstehen.
Auch kleidungsmäßig sahen die Leute
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