Tödliche Versuchung
Goldlöckchen.
Stattdessen ließ ich den Buick wieder an und fuhr langsam die ganze Häuserzeile entlang; auf einmal fühlte ich mich auch nicht mehr so müde. Was soll’s, dachte ich, wenn ich schon mal draußen war und nichts weiter zu tun hatte, konnte ich auch gleich mal bei Hannibal vorbeischauen.
Ich suchte mir den Weg durch Joes Viertel, landete auf der Hamilton Avenue und fuhr weiter Richtung Fluss. Ich kam auf die Route 29, und wenige Minuten später rauschte ich an Hannibals Stadtvilla vorbei. Finster, finster. Auch hier kein Licht. Ich stellte den Wagen eine Straße weiter ab, um die Ecke, und ging zu Fuß zurück zum Haus. Jetzt stand ich direkt davor und sah hoch zu den Fenstern. Täuschte ich mich, oder war da nicht doch ein ganz winziger Lichtschein im vorderen Zimmer? Ich schlich über den Rasen näher heran, kroch zwischen die Sträucher, die den Sockel säumten und drückte mir die Nase an der Fensterscheibe platt. Eindeutig, aus dem Haus kam von irgendwoher Licht. Vielleicht war es nur eine Nachtleuchte. Schwer zu sagen, woher es stammte.
Hastig trat ich den Rückzug zum Bürgersteig an, weiter im Laufschritt zum Radweg. Es dauerte einen Moment, bis sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Dann schlich ich mich vorsichtig an Hannibals Innenhof heran. Ich kletterte auf den Baum und glotzte durch Hannibals Fenster. Alle Vorhänge waren zugezogen, aber wieder kam von irgendwoher im Erdgeschoss ein schwaches Licht. Gerade war ich zu dem Schluss gekommen, dass es nichts zu bedeuten hatte, als das Licht erlosch.
Das brachte mein Herz zum Rasen, denn ich war nicht darauf erpicht, wieder als lebende Zielscheibe zu dienen. Wahrscheinlich war es wenig ratsam, im Baum sitzen zu bleiben, eher schon, das Geschehen aus einer gewissen Entfernung zu beobachten … am liebsten vom Mond aus. Ich glitt zentimeterweise zu Boden herab und schlich mich auf Zehenspitzen davon, da hörte ich plötzlich ein Schloss klicken. Entweder verließ jemand für die Nacht das Haus, oder aber es kam jemand heraus, um auf mich zu schießen. Das machte mir Beine.
Gerade wollte ich mich Richtung Straße bewegen, als ich ein Tor quietschen hörte. Ich presste mich, verdeckt vom Schatten, gegen die Mauer, hielt den Atem an und beobachtete den Radweg. Eine einsame Gestalt kam in Sicht. Sie schloss das Tor, blieb einen Augenblick stehen und sah unmittelbar zu mir herüber. Ich war ziemlich sicher, dass sie aus Hannibals Innenhof gekommen war, und ich war mir auch sicher, dass sie mich nicht erkennen konnte. Es war ein beträchtlicher Abstand zwischen uns, und die Gestalt stand einigermaßen verloren in der Dunkelheit, das Licht der Umgebung ließ nur die Umrisse erkennen. Sie machte auf dem Absatz kehrt und entfernte sich von mir, streifte einen Lichtstrahl, der aus einem Fenster fiel und war für einen kurzen Moment erleuchtet. Ich hätte mich beinahe an meinem eigenen Atem verschluckt. Es war Ranger. Ich machte den Mund auf, um ihm beim Namen zu rufen, aber schon war er weg, in die Nacht untergetaucht. Wie eine Erscheinung.
Ich lief auf die Straße und horchte auf Schritte, konnte aber keine hören, nur einen Motor, der irgendwo in der Nähe ansprang. Ein schwarzer Allroundjeep fuhr über die Kreuzung, und Stille legte sich wieder über das Viertel. Ich befürchtete schon, ich würde den Verstand verlieren, hätte mir alles bloß eingebildet, eine Halluzination durch Schlafentzug. Ich ging zurück zu meinem Wagen, völlig runter mit den Nerven, und fuhr nach Hause.
Grandma schnarchte immer noch wie ein Holzfäller, als ich meine Umhängetasche auf die Küchenablage knallte. Ich sagte Rex guten Tag und schlurfte zur Couch. Ich gab mir nicht einmal die Mühe, meine Schuhe auszuziehen, sondern warf mich einfach hin und zog mir die Decke über den Kopf.
Als ich die Augen wieder aufschlug, saßen Moon und Dougie am Sofatisch und glotzten mich an.
»He!«, rief ich. »Was soll das?«
»Ej, Mann, ej«, sagte Moon, »hoffentlich haben wir dich nicht irgendwie erschreckt.«
»Was wollt ihr hier?«, kreischte ich.
»Dealer braucht jemanden, mit dem er mal reden kann. Er ist irgendwie durcheinander. Eben noch erfolgreicher Geschäftsmann, und dann, Zack! Bumm! hat man ihm den Boden unter den Füßen weggezogen. Das ist einfach nicht gerecht, Mann.«
Dougie schüttelte den Kopf. »Das ist nicht gerecht«, sagte er.
»Wir haben uns gedacht, du hast vielleicht ein paar Ideen, was seine berufliche Zukunft angeht«, sagte
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