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Toedliche Wut

Toedliche Wut

Titel: Toedliche Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Castillo
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sie »Schlampe«. Ich lasse es gut sein und gehe zu den wenigen anderen, die sich, wohl in Erwartung weiterer Explosionen, noch nicht verdünnisiert haben.
    In dem Moment höre ich Autoreifen knirschen, drehe mich um und sehe den Streifenwagen unseres Polizeireviers hinter dem Explorer halten. Erleichtert beobachte ich, wie Rupert »Glock« Maddox, einer meiner besten Officer, aussteigt. Ich bin jedes Mal froh, ihn zu sehen, aber ganz besonders dann, wenn meine Gegenüber in der Mehrzahl sind, seien es Teenager oder Kühe.
    Als er die Brücke betritt, treten die verbliebenen Jugendlichen bereitwillig zur Seite. Er hat diese Wirkung auf Menschen, was ihm allerdings nicht bewusst zu sein scheint. »Was geht ab, Chief?«
    »Ein paar von den Einsteins hier fanden es lustig, sich im Dreck zu wälzen und aufeinander einzuprügeln.«
    Er blickt an mir vorbei zu Angi McClanahan. »Mädchen?«
    »Ist wohl gerade angesagt.«
    »Also da läuft wirklich was schief.« Er wirft mir kopfschüttelnd einen deprimierten Blick zu. »Als ich noch jung war, haben Mädchen sich nicht geprügelt.«
    »Gleichberechtigung scheint auch Dummheit für alle zu bedeuten.« Ich zeige auf Angi und senke die Stimme. »Hören Sie sich ihre Geschichte an, und wenn sie Ihnen irgendwelchen Mist auftischt: gleich verhaften.«
    Er klopft auf seine Glock-Pistole im Gürtelholster. »He, ich bin voll für Gleichberechtigung.«
    Ich unterdrücke ein Lächeln. »Okay. Ich unterhalte mich jetzt mit unserem Muhammad Ali da drüben.«
    Die zweite Kämpferin steht auf der gegenüberliegenden Seite der Brücke neben dem Mädchen mit den gepiercten Augenbrauen. Beide haben mir den Rücken zugewandt, starren aus dem Brückenfenster und rauchen Nelkenzigaretten.
    »Macht die Glimmstängel aus«, sage ich und bleibe dicht hinter ihnen stehen.
    Das Mädchen mit dem Augenbrauenring drückt rasch die Zigarette auf der Fensterbank aus, wirft ihre Kippe auf den Boden und wendet sich mir zu. Das andere Mädchen schnipst die Zigarette aus dem Fenster in den Fluss und dreht sich dann auch um. Zum ersten Mal sehe ich ihr direkt ins Gesicht – und erschrecke: Ich kenne sie, oder zumindest kannte ich sie früher einmal. Sie ist amisch, da bin ich mir sicher. Einen Moment lang sitzt der Schreck so tief, dass mir ihr Name nicht einfällt.
    »Hi, Katie«, sagt sie zuckersüß.
    Ich durchforste mein Gedächtnis, doch ohne Erfolg. Sie ist etwa fünfzehn Jahre alt, hat schlaksige Arme und Beine, und ihr dünner Hintern steckt in einer Jeans, die mindestens zwei Nummern zu klein ist. Neben der schönen Haut hat sie auch große, haselnussbraune Augen und schulterlanges braunes Haar, das von der Sonne blond gesträhnt ist. Unter ihrem linken Auge blüht ein Veilchen, sie hat also mindestens einen Schlag ins Gesicht abgekriegt.
    Ein verschmitztes Grinsen huscht über ihr Gesicht. »Erinnerst du dich an mich?«
    Mein Hirn stößt auf einen Namen, doch ich weiß nicht, ob es der richtige ist. »Sadie? Sadie Miller?«
    Das strahlende Lächeln, das sie mir nun schenkt, ist viel zu schön für ein Mädchen, das sich noch vor wenigen Minuten prügelnd am Boden gewälzt hat. Sie ist die Nichte meines Schwagers, und ich kann kaum glauben, was ich da sehe. Als wir uns das letzte Mal begegneten, vor etwas über drei Jahren bei der Beerdigung meiner Mutter, war Sadie zwölf Jahre alt, ein süßer Wildfang mit blauem Kleid und weißer Kapp ; ihre Knie waren mit Schorf bedeckt, und zwischen ihren Vorderzähnen prangte eine Lücke. Ich erinnere mich so gut, weil sie herzlich, kontaktfreudig und neugierig war, was mir trotz meiner Trauer gefallen hatte. Sie war eines der wenigen amischen Mädchen, das sich gegenüber Jungs behaupten konnte und keine Skrupel hatte, den Erwachsenen zu sagen, was sie dachte. An dem Tag habe ich viel Zeit mit ihr verbracht, hauptsächlich deshalb, weil die meisten Amischen es ablehnten, sich mit mir zu unterhalten.
    Die junge Frau hier hat nichts mehr gemein mit dem süßen kleinen Amisch-Mädchen. Sie ist groß und schön und dünn wie ein Model, und die Wildheit in ihren Augen gibt ihrem – zumindest nach amischen Maßstäben – gewagten Äußeren zusätzlich etwas Ruheloses, Verwegenes. Augenscheinlich hat ihre damalige Auflehnung gegen die strengen Vorschriften inzwischen noch wesentlich härtere Formen angenommen.
    »Brauchst du einen Arzt?«, frage ich auch sie.
    Sie lacht. »Ich denke, ich werd’s überleben.«
    Ich mustere sie eingehend. Ihre Fingernägel

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