Toedliche Wut
sie einen Meter weit weg. »Hör auf damit!«
»Die hat angefangen!«, schreit das Mädchen.
Besorgt, dass die Situation außer Kontrolle geraten könnte, zeige ich auf den nächstbesten Zuschauer, der einigermaßen vernünftig aussieht, einen dünnen Jungen im Led-Zeppelin-T-Shirt. »Du da.«
Er sieht mich an. »Ich?«
»Wer sonst? Dein unsichtbarer Freund?« Ich zeige auf das zweite Mädchen, das jetzt breitbeinig auf dem Boden sitzt, die Haare vorm Gesicht. »Bring sie auf die andere Seite der Brücke und warte da auf mich.«
Er rührt sich nicht, und ich bin kurz davor, ihn anzuschreien, als ein Mädchen mit gepiercten Augenbrauen aus der Gruppe tritt. »Ich mach’s.« Sie beugt sich vor, legt die Hand auf die Schulter der anderen, sagt: »He, komm mit.«
Ich widme mich wieder dem Mädchen vor mir. Sie schnauft, als hätte sie gerade einen Triathlon hinter sich, und starrt mich streitlustig an. An ihrer Nasenspitze hängt ein mascaraschwarzer Schweißtropfen, und ihre Wangen glänzen wie von einem Sonnenbrand. Kurz hoffe ich, dass sie auf mich losgeht, damit ich ihr die schlechten Manieren austreiben kann. Doch dann sage ich mir, dass Teenager als Einzige in der Bevölkerung ein Recht auf temporäre Hirnlosigkeit haben.
»An deiner Stelle«, sage ich ruhig, »würde ich mir sehr genau überlegen, was ich als Nächstes tue.«
Mein Blick wandert zu den Schaulustigen, die mir ein bisschen zu nahe stehen, um mein Sicherheitsbedürfnis zu befriedigen, schon allein wegen des zahlenmäßigen Missverhältnisses von zwanzig zu eins. Meine Hand liegt weiter auf der Schulter des Mädchens, und ich sehe einigen gezielt in die Augen. »Ihr habt jetzt genau dreißig Sekunden, um zu verschwinden, danach verhafte ich euch und informiere eure Eltern.«
Als sie sich langsam in alle Richtungen zerstreuen, sehe ich das Mädchen an. Sie wirft ihren Freunden stechende Blicke zu, gestikuliert, schickt ihnen nonverbale Messages, wie Teenager das gern tun. Und mir wird klar, dass sie ihre fünfzehn Minuten Ruhm genießt.
»Wie heißt du?«, frage ich.
Sie bedenkt mich mit einem Friss-Scheiße-Blick, ist aber klug genug, um zu wissen, dass sie dieses Gefecht nicht gewinnen kann. »Angi McClanahan.«
»Hast du einen Ausweis dabei?«
»Nein.«
Ich halte dem Mädchen die Hand hin, um ihm aufzuhelfen, doch es ignoriert sie und springt auf die Füße wie eine gefallene Eiskunstläuferin, die noch immer die Goldmedaille im Visier hat. Angi ist hübsch, etwa sechzehn Jahre alt, mit blonden Haaren, blauen Augen und Sommersprossen auf der Stupsnase. Sie hat ein paar Pfunde zu viel auf den Rippen, aber die sind gut verteilt, wie so oft bei jungen Mädchen. Der Ärmel ihres T-Shirts baumelt von der Schulter. Sie hat Kratzspuren an Kehle und Armen, Blut an den Jeans, doch ich sehe keine Wunde.
»Bist du verletzt?«, frage ich. »Brauchst du einen Arzt?«
Sie wirft mir einen vernichtenden Blick zu. »Alles gut.«
»Was ist passiert?«
Sie zeigt mit dem Finger auf das andere Mädchen und verzieht den Mund. »Ich hab hier bloß abgehängt, und diese verdammte blöde Schlampe hat sich auf mich geworfen.«
Ihre Worte bestürzen mich, doch wirklich zu schaffen macht mir der mitschwingende Hass. Wann hat das angefangen, dass Kinder so reden? Ich finde es unerträglich. Dabei bin ich wirklich nicht naiv und habe im Laufe meines Lebens schon Schlimmeres gehört, und oft genug war es persönlich gemeint. Doch solche Worte aus dem Mund eines hübschen jungen Mädchens schockieren mich einfach.
Ich ziehe die Handschellen aus der Gürteltasche. »Dreh dich um.«
»He, was soll das?« Ihr Blick fliegt zu den Handschellen, und sie hebt die Hände. »Ich hab nix gemacht!«
»Hände auf den Rücken.« Ich packe sie am Oberarm, drehe sie um, lasse die Handschelle um das rechte Handgelenk zuschnappen und drehe ihr den Arm auf den Rücken. »Die andere Hand. Sofort.«
»Bitte nicht …« Sie ist jetzt beunruhigt, den Tränen nahe, sie zittert.
Mein Mitleid hält sich in Grenzen. Ich greife nach dem linken Handgelenk und lege ihr die zweite Handschelle an, wobei mir der süßliche Duft von Billigparfüm vermischt mit dem Gestank von Zigaretten entgegenschlägt. Ich drehe Angi zu mir um, halte ihr meinen Finger dicht vors Gesicht. »Du bewegst dich nicht vom Fleck«, sage ich. »Du sprichst mit niemandem. Hast du mich verstanden?«
Mit zusammengepressten Lippen verweigert sie eine Antwort und wendet den Kopf ab.
Als ich mich umdrehe, murmelt
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