Toedliche Wut
Glock auslassen sollte, doch die Worte sind schneller als mein Verstand.
Mein Handy signalisiert piepsend einen zweiten Anruf, ich sehe schnell aufs Display, Bischof Troyer versucht mich zu erreichen. »Schicken Sie Personenbeschreibungen an alle Rundfunk- und Fernsehstationen, sie sollen die Öffentlichkeit um Mithilfe bei der Suche bitten«, sage ich Glock. »Lassen Sie Helikopter aus Springfield kommen. Rufen Sie Rasmussen an, alle verfügbaren Leute sollen nach ihr suchen. Vielleicht können Sie auch irgendwo Spürhunde auftreiben.«
»Ich kümmer mich um alles.«
»In ein paar Stunden bin ich da.« Ich nehme den anderen Anruf entgegen, knurre meinen Namen.
»Katie, hier ist Sarah.« Die Stimme meiner Schwester knistert geradezu vor Anspannung. »Sadie ist verschwunden.«
»Ich hab’s gerade gehört.« Ich übe keinerlei Nachsicht mit ihr. »Warum hast du mich nicht sofort angerufen?«
»Wir haben erst heute Morgen gemerkt, dass sie weg ist.«
»Jetzt ist Nachmittag, Sarah. Warum hast du dich nicht sofort gemeldet?«
»William …« Sie atmet schwer, versucht ihre Gefühle zu kontrollieren. »Er wollte nicht die englische –«
»Das ist verdammter Schwachsinn, und ich hab die Nase voll davon, Sarah, hast du das verstanden?«, schreie ich sie an. Tomasetti und Goddard schauen entsetzt zu mir. Mir ist klar, dass ich alles nur noch schlimmer mache, wenn ich meine Schwester verprelle, also reiße ich mich zusammen. »Seit wann ist sie genau weg?«
»Wir glauben, dass sie letzte Nacht aus dem Schlafzimmerfenster gestiegen ist.«
»Letzte Nacht.« Ich senke den Kopf, bearbeite meine Nasenwurzel mit Daumen und Zeigefinger. Das Bedürfnis, sie wegen ihrer – mir zutiefst verhassten – Trennung zwischen Englischen und Amischen anzuschreien, ist gewaltig. Ich will meine Schwester fragen, wie sie es zulassen konnte, ihre Nichte wegen ihres Glaubens in Gefahr zu bringen. Doch irgendwie kann ich meine Wut zügeln. »Glaubst du, sie ist weggelaufen?«, frage ich.
»Ich weiß es nicht, Katie. Ich habe Angst. Sadie war so rebellisch und wütend.«
Ich sehe auf meine Uhr. Selbst mit Blaulicht brauche ich zwei Stunden bis Painters Mill. »Ich schicke Glock zu Roy und Esthers Farm. Kannst du auch dort sein?«
»Ja, natürlich.«
»Sarah, du musst mit ihnen reden und ihnen klarmachen, dass sie mit der Polizei zusammenarbeiten müssen. Sag ihnen, wir haben mit unseren Mitteln bessere Chancen, Sadie zu finden. Hast du verstanden?«
»Ja. Ich werde mein Bestes tun.«
Ich will noch mehr sagen, nämlich dass ich sie liebe, bin aber zu wütend. Und so klappe ich mein Mobiltelefon zu und packe all die nutzlosen Gefühle in eine Kiste, um mich ihnen später zu widmen.
»Was ist passiert?«
Ich drehe mich um, Tomasetti steht direkt hinter mir und starrt mich aus Augen an, die mehr sehen, als mir lieb ist.
»Wir haben noch ein vermisstes Mädchen, und sie ist die Nichte meines Schwagers.« Die Worte drücken nicht annähernd die Gefühle aus, die ich für das Mädchen habe. Ich möchte ihm von der Verbindung zwischen Sadie und mir erzählen, dass sie zu mir aufsieht, und wie ich in ihr all meine eigenen guten Eigenschaften sehe. Aber dafür ist keine Zeit.
»Kate, ist sie einfach nur weggelaufen, oder befürchten sie ein Verbrechen?«
Die Frage setzt mir enorm zu, ich sehe Tomasetti an, reiße mich zusammen. »Sie passt ins Profil«, sage ich. »Problematisch, aufsässig. Das Alter stimmt.«
»Aber das Timing nicht, es ist zu nah am Verschwinden des anderen Mädchens.«
Ich habe die Blutlache auf der Straße vor Augen, Annie Kings Leiche verfangen in den Baumwurzeln, und schaffe es kaum, zu antworten. »Ich muss zurück.« Ich gehe zum Tisch, klappe meinen Laptop zu, ohne ihn runtergefahren zu haben, und schiebe ihn in die Laptoptasche. »Ich brauche den Tahoe.«
Tomasetti holt den Schlüssel aus der Tasche und gibt ihn mir. »Ich fahre mit dem Sheriff nach Sharon und besorge mir später einen anderen Wagen.«
Ich nehme den Schlüssel, wobei Tomasetti die Stirn runzelt, denn meine Hand zittert.
Goddard stellt sich neben mich. Seine Hand auf meiner Schulter tut unerwartet gut. »Sagen Sie uns Bescheid, ob es irgendwelche Hinweise auf eine Verbindung zu den anderen Fällen gibt, Chief.«
Tomasetti geht zur Steckdose, zieht das Laptopkabel heraus und bringt es mir. »Sei vorsichtig.«
Ich halte inne, atme tief durch und sehe ihn an, wünsche mir nichts mehr, als von ihm in die Arme genommen zu werden, zu
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