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Toedliche Wut

Toedliche Wut

Titel: Toedliche Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Castillo
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an«, fahre ich fort. »Das Verbot von Götzenbildern. Einige glauben, dass Fotos eine Zurschaustellung von Eitelkeit sind, andere wiederum, dass ein Foto dem Fotografierten die Seele stiehlt.«
    »Bei allem Respekt gegenüber den Amischen, finde ich das doch etwas melodramatisch«, sagt er. »Sie nicht?«
    »Ich finde, wenn Sie sie wirklich respektierten, würden Sie ohne ihr Wissen keine Fotos von ihnen machen.«
    Einen Moment lang erwarte ich, dass er mir widerspricht, doch stattdessen lächelt er nur. »Jemandes Seele stehlen ist nicht ungesetzlich.«
    Ich lächele nicht zurück.
    Schließlich zuckt er die Schultern, ein Diplomat, der einem höheren Zweck zuliebe Zugeständnisse macht. »Jeder hat das Recht auf seine eigene Meinung.«
    Tomasetti bleibt vor einem Foto stehen, auf dem zwei etwa zwölfjährige Mädchen zu sehen sind, die mit nacktem Oberkörper im hüfthohen Wasser eines Baches stehen und sich gegenseitig die Haare shampoonieren. »Sie scheinen besonders gern Nacktaufnahmen von Kindern zu machen.«
    Karns stellt sich neben ihn und sieht auf das Foto. »Die meisten Aufnahmen sind aus einiger Entfernung gemacht, manche mit einem Teleobjektiv. Ich habe festgestellt, dass meine Sujets sich etwas … ungezwungener verhalten, wenn sie nicht wissen, dass sie fotografiert werden. Ihr Gesichtsausdruck ist dann entspannter. Ich bemühe mich, so unaufdringlich wie möglich zu sein.«
    »Dann haben Ihre Sujets also keine Ahnung, dass sie fotografiert werden«, sage ich.
    »Das stimmt so nicht, viele geben mir ihre Erlaubnis.«
    »Und die, die es nicht tun?«
    »In dem Fall findet sich immer ein anderer Weg, fototechnisch, meine ich. Ich kann zum Beispiel die Gesichtszüge so verwischen, dass sie unkenntlich sind.«
    »Die Amischen sind nicht gerade dafür bekannt, prozesswütig zu sein«, sage ich.
    Er lächelt, kehrt den Charmeur heraus. »Ich muss zugeben, dass ich noch nie von Amischen verklagt wurde.«
    Tomasetti wendet sich von den Fotos ab und Karns zu. »Und doch wurden Sie wegen gesetzeswidriger Nacktaufnahmen einer Minderjährigen verurteilt.«
    »Ich verstehe.« Karns verzieht das Gesicht, als wäre seine Toleranz gerade an ihre Grenzen gestoßen. »Und deshalb sind Sie hier?«
    »Wenn ein junges Mädchen tot aufgefunden wird, sind die Triebtäter die Ersten, mit denen wir reden«, sagt Tomasetti.
    »Bei allem Respekt, ich bin kein Triebtäter«, sagt Karns leicht aufgebracht. »Ich verwahre mich gegen diese Unterstellung.«
    Tomasetti sieht ihn absolut ungerührt an. »Ich meine nicht im technischen oder rechtlichen Sinne. Aber für mich stehen Kinderpornographen und Triebtäter auf einer Stufe. Ich mache zwischen den beiden keinen Unterschied.«
    Karns seufzt. »Hören Sie, ich bin sicher, Sie beide kennen die Geschichte hinter dieser sogenannten Verurteilung.«
    »Für die Jury stellten die Fotos offensichtlich keine Kunst dar«, sagt Tomasetti.
    »Aber für eine Menge andere Leute schon«, erwidert er. »In meinen Arbeiten ist nichts auch nur annähernd Sexuelles oder Unangemessenes.«
    Während ich den beiden Männern weiter zuhöre, betrachte ich mir die Bilder an der letzten Wand. Da entdecke ich ein Foto, bei dem mir sofort klar ist, dass es ihm die sechs Monate im Gefängnis eingebracht hat: Die Schwarzweißaufnahme zeigt ein junges amisches Mädchen, das mit gekreuzten Beinen in einer Aluminiumwanne sitzt. Es trägt nichts weiter als eine weiße Kapp . Ihre winzigen spitzen Brüste sind unbedeckt. Sie neigt den Kopf vor und schöpft gerade mit beiden Händen Wasser für ihr Gesicht.
    Das Foto ist eindeutig ein Eingriff in die Privatsphäre des Mädchens. Es hat keine Ahnung, dass es fotografiert wird. Ich wette, dass bis heute weder sie noch ihre Eltern wissen, dass dieses Foto gemacht wurde – und dass es im Mittelpunkt einer Kontroverse stand, die einen Mann ins Gefängnis gebracht und seiner Karriere einen solchen Aufschwung beschert hat, dass er jetzt berühmt-berüchtigt und reich ist.
    Das Foto ist sehr ausdrucksstark und von so großer Direktheit, dass ich mich innerlich krümme. Allein vom Betrachten fühle ich mich schmutzig, und unter meiner Haut beginnt eine Emotion zu wüten, so rau und kantig, dass die Alarmglocken in meinem Kopf mich zur Zurückhaltung gemahnen. Und mir wird bewusst, dass ich trotz seines Charismas und Könnens keine Achtung vor diesem Mann habe – und null Toleranz für das, was er tut.
    Ich gehe zu den beiden Männern und frage Karns: »Haben Sie Annie

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