Tödlicher Absturz: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
Julias Schulter. »Na klar, und wie ich das kann. Schau, ich habe meine Familie zwar ständig um mich, aber gerade nach der Weihnachtszeit fällt es auch mir besonders schwer, wenn der Alltag kommt.«
Er machte eine kurze Pause und fragte dann: »Aber mal abgesehen davon scheint es dir wirklich gutzugehen. Oder irre ich mich?«
»Ja, Frank«, nickte Julia nach einigen Sekunden, in denen ihr Blick sich in weite Ferne verlor. Ein sanftes Lächeln zog über ihr Gesicht, als sie weitersprach: »Ich glaube, so gut wie jetzt ging es mir schon lange nicht mehr.«
»Das freut mich«, gab Hellmer lächelnd zurück und tätschelte ihr die Schulter, bevor er die Hand zurück ans Steuer nahm. »Halt es fest, solange es geht.«
»Na, wir werden sehen, wie lange der Alltag das zulässt«, seufzte Julia, ließ es aber nicht schwermütig klingen. Dann rieb sie sich die Hände und fügte geschäftig hinzu: »Na gut, bevor wir gleich nach oben gehen, klär mich doch mal bitte auf, was sonst noch so anliegt.«
»Nichts Außergewöhnliches, wenn ich das so sagen darf«, erwiderte Hellmer und überlegte kurz. »Zwei, nein drei erfrorene Obdachlose, das war fast unmittelbar nach deiner Abreise, und einer kam nach den Feiertagen dazu.«
»Schrecklich.«
»Ja, jedes Jahr derselbe Mist. Aber es interessiert einfach niemanden, und dann, im Rest vom Jahr, erfriert ja auch keiner mehr. Und wenn der nächste Frost kommt, tut jeder so, als wäre es das erste Mal, dass so etwas passiert. So ist das halt.« Er schüttelte resigniert den Kopf. »Dann hatten wir einen goldenen Schuss direkt an Heiligabend, ein neunzehnjähriger Stricher, das war nicht gerade feierlich. Insgesamt also nichts, was uns direkt betrifft, aber alles, was einen echt betroffen machen kann.«
»Allerdings«, pflichtete Julia bei. »Besonders dieser Junge. Wie kann man nur so abstürzen?«
»Ist jedes Mal ein Jammer«, seufzte Hellmer. »Aber was will man machen? Zwischen den Jahren ist für die meisten Menschen die schlimmste Zeit. Wenn einen dann die Einsamkeit übermannt, oder eine Depression, kommt man auf die dümmsten Gedanken. Entweder rastet man aus – und wir können heilfroh sein, dass es dieses Jahr wenigstens kein blutiges Familiendrama gegeben hat –, oder aber man macht einfach Schluss.«
»Eines so schlecht wie das andere«, kommentierte Julia bitter. »Sonst noch was?«
»Wie gesagt, keine großen neuen Fälle, die uns betreffen, nicht bis heute Morgen jedenfalls.«
Sie hatten das Präsidium erreicht, und Julia stieß die Beifahrertür auf. »Okay, dann gehen wir’s mal an.«
Sonntag, 14.50 Uhr
B ald, nur noch etwas Geduld, mahnte Arthur Drechsler sich zur Ruhe. Er drehte den Regler der Gasheizung hinunter, im Inneren des Wohnwagens war es angenehm warm. Die dicke Isolierung, die er den Sommer über nach und nach eingearbeitet hatte, zahlte sich aus. Auch die Aussparungen der Fenster waren mit zehn Zentimeter dicken Schaumplatten abgedichtet, das schuf ein wenig Privatsphäre, denn es ging schließlich keinen etwas an, was im Inneren geschah. Er legte den Kopf in den Nacken und sah in Richtung Oberlicht. Die Dämmerung würde nicht mehr lange auf sich warten lassen, es war einer dieser kurzen, eisigen Wintertage, spätestens in zwei Stunden würde es dunkel sein. Außerdem war in zwei Tagen Neumond, die finsterste Zeit dieses Winters, genau passend zur Stimmung, in der er sich befand.
Arthur schob einen der beiden Schuhkartons, die vor ihm auf dem Klapptisch der Essecke standen, zur Seite und griff nach dem anderen. Behutsam hob er den Deckel an, dabei hinterließen seine Finger Spuren in der dicken Staubschicht. Im Inneren der Box befanden sich Postkarten, Papierschnipsel, ein paar Fotografien und ein ganzer Stapel gefalteter Dokumente, meist Fotokopien. Zielstrebig blätterte er einen Stapel Fotos durch, dabei fiel sein Blick auf eine Urlaubsaufnahme, und er hielt kurz inne. Er zwang sich, die düsteren Erinnerungen zu verjagen, schob die Fotos beiseite, und schon wenige Sekunden später hielt er ein Sparbuch in den Händen. Das stoffähnliche Material und der Zustand des Covers ließen darauf schließen, dass es sich um ein recht altes Sparbuch handeln musste. Arthur schlug es auf und suchte den ersten Eintrag. 14. Februar 1959, ja, es war in der Tat ein sehr altes Dokument. Aber nach wie vor gültig, lächelte er grimmig und blätterte einige Seiten um, bis er den letzten Eintrag erreichte. Zufrieden schloss er das Buch und legte es
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