Tödlicher Absturz: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
hing dort ein schlaffer Leichnam, dessen Fußspitzen sanft, beinahe schon friedvoll, hin- und herschwankten.
»Mit dem Todeszeitpunkt haben wir ein Problem«, begann Andrea und machte aus ihrer Verärgerung keinen Hehl. »Hier drinnen sind es etwa zwanzig Grad, zumindest war das so, bevor die Tür geöffnet wurde. Momentan ist es wahrscheinlich kaum halb so warm in diesem Taubenschlag, aber ich denke, achtzehn bis zwanzig ist eine gute Schätzung.«
»Und wie lange schätzt du nun, egal, wie vage es ist?«
»Gestern Abend«, kam es knapp.
»Jetzt komm schon, lass dir nicht alles aus der Nase ziehen.«
»Okay, okay«, seufzte Andrea, »aber ich lasse mich nicht auf eine Uhrzeit festnageln. Das versichert ihr mir nämlich jedes Mal, und hinterher heißt es dann doch wieder, ich müsse meine Angaben präzisieren.«
»Es geht mir nur um ein Zeitfenster, damit wir gegebenenfalls Alibis gegenchecken können«, erklärte Julia.
»Weiß ich doch«, lenkte Andrea ein. »Also gut, hier die bisherigen Fakten: Die Kerntemperatur des Körpers ist identisch mit der Raumtemperatur. Über den Daumen gepeilt, wenn wir mit nur einem Grad pro Stunde rechnen, ergeben sich bei einem Unterschied von 36,5 zu 20 Grad schon einmal mindestens sechzehn Stunden. Die Totenstarre ist noch relativ ausgeprägt, sie tritt etwa zwei Stunden post mortem ein und hält mindestens vierundzwanzig Stunden an. Ich werde also genau prüfen, zu welchem Zeitpunkt sie sich löst, aber auch das grenzt den Zeitpunkt leider nur in eine Richtung ein. Und nach Eiern oder Larven brauche ich bei diesem Winter kaum zu suchen.«
»Wohl eher nicht«, pflichtete Julia bei.
»Was ist bloß los mit den Reichen und Schönen dieser Stadt«, wechselte Andrea plötzlich das Thema. »Ich dachte, die Welt geht erst am 21. Dezember 2012 unter, warum bringen sich denn plötzlich alle um?«
»Wenn du mir darauf bis morgen früh eine allein selig machende Antwort geben könntest, würde ich dich auf einen zweiwöchigen Trip auf die Malediven einladen«, lächelte Julia freudlos.
Es war beinahe halb elf, als die Kommissarin zu Hause eintraf. Sie haderte kurz mit sich selbst, entschied sich dann aber dafür, ein Vollbad zu nehmen. Sie warf Mantel, Handschuhe und Schal über den Sessel im Wohnzimmer, schritt in die Küche und schwenkte die Flasche Rotwein, die seit einiger Zeit angebrochen im Vorratsregal stand. Es war ein Mitbringsel aus Südfrankreich, den Korken hatte Julia mit dem Finger zurück in die Flasche gedrückt, und durch das dunkelgrüne Glas der Flasche erkannte sie, dass sie durchaus noch zwei gut gefüllte Gläser hergeben würde. Perfekt, dachte sie, im Badezimmer strömte bereits das Wasser ein, nur noch ein hübsches Weinglas aus dem Wohnzimmerschrank greifen und dann im wahrsten Sinne des Wortes abtauchen. Julia tappte ins Badezimmer, überlegte dabei, ob sie sich noch eine CD anschalten solle, zog dann das beruhigende Plätschern des Wassers und das Knistern des mittlerweile hoch aufgetürmten Badeschaums vor. Sie stellte Flasche und Glas ans Kopfende der Wanne, entzündete die Kerze und zog sich aus. Ein flüchtiger Blick in den Spiegel erinnerte Julia daran, dass sie sich besser noch abschminken sollte, und widerwillig schlug sie einen Bogen ans Waschbecken, wo sie sich das Make-up rasch mit einem Feuchttuch entfernte.
Wie schon in Küche und Wohnzimmer versuchte sie bei jedem Handgriff verzweifelt, den immer wieder aufbegehrenden Gedanken zu entfliehen, die in ihrem Kopf umherschwirrten. Doch auch nach dem zweiten Glas Wein gelang es Julia nicht, erfolgreich dagegen anzukämpfen. Immer wieder kehrte das selbstgefällige Grinsen Karl von Eisners vor ihr geistiges Auge zurück, dann die verprügelte Nathalie Löbler, natürlich ihr erhängter Mann und dann die tote Lara im Container. Das waren die Toten auf der einen Seite, und immer wieder tauchten auch die Gesichter der Witwe von Eisner und von Laras Mutter auf.
Doch am meisten von allen beschäftigte die Kommissarin eine ganz andere Person. Lars Manduschek.
Freitag
Freitag, 7. Januar 2011, 8.10 Uhr
P olizeipräsidium, Dienstbesprechung im Konferenzzimmer. Anwesend war das gesamte Team: Kullmer, Kaufmann, Hellmer und natürlich Berger. Trotzdem, ohne Doris und die beiden Vertretungskommissare war es eine recht überschaubare Gruppe, wie Julia fand. Michael Schreck war nicht dabei, es gab keine weiteren Informationen, und die Bilddateien konnte Sabine Kaufmann auch erläutern. Die Kollegen
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