Toedlicher Blick
Sie kramte in einem unordentlichen Papierstapel, zog schließlich einen mit Bleistift voll gekritzelten Notizzettel heraus. »Es sind, prozentual gesehen, nicht viel mehr Katholikinnen als bei der gesamten Bevölkerung Minnesotas im Durchschnitt. Genauer gesagt: Wenn der gesamte Rest der noch nicht identifizierten toten Frauen nicht katholisch war, liegen wir mindestens eine Katholikin unter dem Durchschnitt.«
»Mit anderen Worten, diese Katholiken-Sache hat sich in Rauch aufgelöst«, stellte Lucas fest.
»Da ist aber noch St. Patrick«, sagte Lane.
Lucas zog sich einen Stuhl heran. »Lasst mich mal dieses ganze Zeug ansehen, okay? Wo sind die Namen der Leute von der Uni? Habt ihr sie mit den Frauen, denen Zeichnungen zugeschickt wurden, abgeglichen? Wenn nicht, sollten wir das schleunigst tun.«
Sie steckten noch tief in der Auswertung der Papiere, als Marshall mit Anderson im Gefolge auftauchte. Sie waren ein ungleiches Paar: Harmon Anderson, ein alternder Computer-Freak, bleich wie ein Leintuch, und Marshall, ein wettergegerbter Mann vom Land, braun wie ein Eichenblatt vom vergangenen Herbst. »Vielleicht haben wir da was, das Sie sich mal anschauen sollten«, sagte Marshall betont barsch zu Lucas. »Vielleicht haben Sie es ja aber auch schon bedacht.«
»Das glaube ich nicht«, sagte Anderson, und dann, an Lucas gewandt: »Terry ist cleverer, als er aussieht.«
Marshall grunzte, schien sich über das zweischneidige Kompliment zu amüsieren, schob dann Lucas ein Papier zu. »Ich wollte wissen, welche Frauen diese Mrs. Qatar als Bekannte benannt haben, also sortierte Harmon sie aus und notierte sie. Er hat eine Übersichtstafel an der Wand hängen, auf der verzeichnet ist,
wann
den Frauen die Zeichnungen zugeschickt wurden, und als er diejenigen eintrug, die angegeben haben, Mrs. Qatar zu kennen, fiel mir auf, dass sie direkt nebeneinander auf der Übersicht erscheinen. Sie alle haben die Zeichnungen vor anderthalb Jahren innerhalb von zwei Monaten zugeschickt bekommen.«
Lucas überlegte, brummte dann: »Hmmm, und …?
»Die Frauen sagen, sie würden sich nicht untereinander kennen, scheinen aber allesamt irgendwie mit Mrs. Qatar in Verbindung zu stehen. Ich fragte mich, ob sie alle mal zur selben Zeit am selben Ort versammelt waren – vielleicht kurz vor der Zustellung der ersten Zeichnung? Bei irgendeiner offiziellen Veranstaltung? Diese vier Zeichnungen sind jeweils in einem Abstand von rund zwei Wochen eingegangen. Wenn man also davon ausgeht, dass der Dreckskerl ungefähr zwei Wochen für die Anfertigung einer Zeichnung brauchte, könnte es gut möglich sein, dass sie sich bei einem gesellschaftlichen Ereignis trafen, das rund zwei Wochen vor dem Eingang der ersten Zeichnung stattfand, oder?«
Lucas lehnte sich zurück, dachte nach. Sah dann Lane an, welcher sagte: »Da könnte was dran sein.«
»Helen Qatars Sekretärin führt bestimmt einen Terminkalender«, sagte Lucas. »Also haken wir da mal nach.« Er ging in sein Büro, kramte in seiner Visitenkartensammlung, fand die Karte, die er von Helen Qatars Schreibtisch genommen hatte, ging zurück ins Vorzimmer, hob Marcys Telefonhörer ab.
Helen Qatars Sekretärin meldete sich: »Wells Museum, Büro von Helen Qatar.«
»Hier ist Lucas Davenport, der Polizist, der neulich bei Ihnen war …« Er erklärte sein Anliegen.
»Da muss ich Mrs. Qatar einschalten«, sagte sie.
Qatar meldete sich umgehend: »Wir prüfen das. Meinen Sie, es könnte von Bedeutung sein?«
»Es würde einiges erklären«, sagte Lucas. »Wir können uns nicht zusammenreimen, wie
Sie
in das Bild passen, aber wenn Sie und diese Frauen damals bei einem gesellschaftlichen Ereignis zusammengekommen sind und Sie dabei zur Prominenz gehörten oder die Gastgeberin waren …«
»Vor anderthalb Jahren? Im August also?«
»August, Anfang September … Auf jeden Fall vor dem vierzehnten September.« Lucas hörte die Sekretärin im Hintergrund etwas sagen, dann meldete sich Qatar wieder: »Ich glaube …«
Sie brach ab, sprach wieder mit der Sekretärin. Dann: »Wir haben zum Ende der Sommerferien eine große Party für ehemalige Studenten und Freunde des Museums veranstaltet, um ein bisschen Geld für unseren Stipendienfonds einzutreiben, und zwar am …« Sie brach ab, kam dann wieder: »Am neunundzwanzigsten August. Wir hatten sechshundert Leute eingeladen. Wie viele letztlich gekommen sind, wissen wir nicht, aber das Buffet wurde völlig leer geräumt – nicht zuletzt von einem
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