Toedlicher Irrtum
Gesetzeshüter stiegen alle Fahrgäste aus, sodass ein wenig Privatsphäre entstand. Als die Türen sich wieder schlossen, fragte Atwater: »Aber Sie haben bestimmt von ihrer Mutter gehört?«
Bei Brass klingelte nichts. »Bennett« war ein Name, der häufig im Telefonbuch vorkam.
Der Sheriff zog eine Braue hoch. »Rita Bennett?«
Die Klingel des Fahrstuhls ertönte wieder, und endlich klingelte es auch in Brass’ Schädel.
Die Männer verließen den Fahrstuhl.
»Die Autohändlerin«, erinnerte sich Brass. Und eine wichtige politische Förderin des Sheriffs, dachte er. »Aber ist sie nicht erst kürzlich gestorben? Direkt nach Ihrer Ernennung …?«
»Ja, das ist sie. Sie war eine nette Frau und eine liebe Freundin.« Die Trauer des Sheriffs schien echt zu sein, aber vielleicht war es auch nur die Trauer über den Tod einer Geldquelle, die er aus tiefstem Herzen beklagte.
Und Rita Bennett war Geld pur gewesen. Sie hatte eine Gebrauchtwagenhandlung ihres Ex-Mannes zugesprochen be kommen, als sie sich vor ungefähr fünfzehn Jahren hatte scheiden lassen. Immerhin hatte sie ihren Mann im Büro mit einer der Sekretärinnen erwischt. Jedenfalls entwickelte sich ihr Gebrauchtwagenhandel zu einer der erfolgreichsten GM-Niederlassungen des ganzen Südwestens – sehr zum Ärger ihres Ex-Mannes.
Brass und Atwater gingen durch den Korridor zum Büro des Sheriffs.
»Mrs Bennett hat in dieser Stadt einen guten Ruf«, sagte Brass wahrheitsgetreu, und damit wollte er seinem Boss keinen Honig ums Maul schmieren. »Aber warum treffen wir uns mit ihrer Tochter?«
»Lassen wir die junge Frau ihre Geschichte selbst erzählen.«
Im Vorzimmer sah Brass Mrs Mathis, die Sekretärin in den Vierzigern, eine Veteranin aus Mobleys Zeiten. Kühl, effizient und jedem ihrer Bosse stets einen Schritt voraus, führte Mrs Mathis das Büro mit eiserner Faust.
»Ms Bennett wartet in Ihrem Büro, Sheriff.«
Atwater nickte Mrs Mathis zu, drückte die Türklinke hinunter und betrat vor Brass das Zimmer.
Der Raum hatte sich seit Mobleys Zeiten kaum verändert – Auszeichnungen, Diplome und Fotos des Sheriffs, auf denen er zusammen mit diversen Prominenten und Politikern abgelichtet war. Das Bemerkenswerteste in dem Büro war aber die Frau in dem Sessel vor dem Schreibtisch.
Sie erhob sich und drehte sich zu ihnen um – eine brünette Frau Ende zwanzig, die selbst für die Verhältnisse in Las Vegas als schön gelten musste. Ihre Kleidung war nicht auffällig: hellblaue Bluse, dunkelblaue Hose, dunkelblaue Pumps. Sie trug das Haar kurz geschnitten, sodass ihre hohen Wangenknochen betont wurden; ihre Augen standen weit auseinander, waren blau und groß und drückten sowohl Wachsamkeit als auch eine Art von Naivität aus. Ihre Nase war schmal und wohlgeformt, vermutlich das Werk eines plastischen Chirurgen. Und als sich ihre vollen Lippen öffneten, kamen kleine weiße Zähne zum Vorschein.
Ihr Lächeln aber war freudlos, ebenso wie das, mit dem der Sheriff antwortete. Und wie dem Sheriff waren auch ihr keinerlei Folgen der Hitze anzusehen. Wie machen die das?, fragte sich Brass, der meinte sich beinahe schwitzen zu hören, als er den Raum durchquerte und auf die Frau zuging. Andererseits wusste er nicht, ob das noch an der Hitze lag oder eher an der Spannung, die er an ihr bemerkte. Was mochte der Sheriff diesmal wieder aus dem Hut zaubern?
»Rebecca Bennett«, stellte Atwater vor. »Das ist Captain Jim Brass – sollte es im Department einen besseren Polizisten geben, würde ich ihn gern kennen lernen.«
Dieses wenig eindeutige Lob ließ Brass aufhorchen, als er der Bennett die Hand entgegenstreckte. Atwater hielt eine Überraschung für ihn bereit, das wusste er – aber er wusste nicht, wo und wie sie ihn treffen würde.
Rebecca Bennett hatte einen kräftigen Händedruck und einen kühlen Blick. War da nicht etwas Raubtierhaftes in ihrem Gesicht?
»Es freut mich, Captain Brass.«
»Ms Bennett«, begann Brass. »Mein Beileid zu ihrem Verlust.«
»Danke, Captain. Eigentlich bin ich genau deswegen hier.«
Atwater trat hinter seinen Schreibtisch und bat sie, Platz zu nehmen. »Ms Bennett …«, setzte der Sheriff an, doch sie unterbrach ihn.
»Rory, Sie sind ein Freund der Familie. Nur weil Sie mich lange nicht gesehen haben, bin ich doch trotzdem noch Rebecca.«
»Rebecca.« Er kniff die Augen zusammen. »Ich weiß, das ist … schwer für Sie gewesen.«
»Sicher wissen Sie das.«
Atwater wirkte nachdenklich, setzte aber dann
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