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Tödlicher Kick

Tödlicher Kick

Titel: Tödlicher Kick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucie Flebbe
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den Rängen verriet, dass der Immigrationsgegner neben mir nicht der Einzige war, der den Geisteszustand des Trainers anzweifelte.
    Wahnsinn. Der Junge da unten auf dem Rasen war jünger als ich selbst. Wie sollte der diesen Druck aushalten? Das konnte ja gar nicht gut gehen.
    Mongabadhi fixierte den Ball, als handelte es sich um eine Bombe, die er mit seinem Tritt über die Tribünen hinweg aus dem Stadion befördern musste, um ganz Bochum vor einer Katastrophe zu retten. Der Schuss würde alles entscheiden: zweite Klasse oder Aufstieg? Versager oder Held? Apokalypse oder Rettung der Welt?
    Wieder wurde es totenstill. Die Hochspannung auf dem Spielfeld drohte elektrische Lichtbögen im Regen zu erzeugen.
    Mongabadhi lief los: drei – vier – fünf Schritte, ausholen und Schuss!
    Der Torwart sprang in die falsche Richtung: ein Bombending. Unhaltbar zischte der Ball aufs linke obere Eck zu und – unter die Latte! Ein Aufschrei aus zigtausend Kehlen.
    Mit einem Knall prallte das Leder auf den Boden, hopste wieder hoch und – der Torwart fischte den Ball aus dem Kasten! Doch greifen konnte er das nasse Rund nicht, es kullerte zurück aufs Spielfeld. Mongabadhi stand immer noch da und trat geistesgegenwärtig nach …
    Drüber weg!
    Übers Tor, die Tribüne, ins Weltall.
    Einen Augenblick lang starrten 29.922   Augenpaare dem Ball auf seinem Weg in die unendlichen Weiten fassungslos hinterher. Dann drehten sich alle Köpfe in Richtung Schiri.
    Eine letzte, klitzekleine Hoffnung blieb den Bochumern: Was sagte der Funkempfänger? Hatte der Ball das Magnetfeld an der Torlinie vielleicht doch schon beim ersten Lattentreffer durchbrochen?
    Der Unparteiische starrte länger als gefühlt nötig auf sein Handgelenk.
    O je.
    Wahrscheinlich überlegte er bereits, wie er lebend vom Platz kam, nachdem er das Ergebnis verkündet hatte.
    Endlich winkte er ab.
    Kein Tor!
    Die ganze Arena schien aufzustöhnen.
    »Versemmelt!«, seufzte auch Danner.
    Aus. Vorbei. Gelaufen.
    Schon wieder zweite Liga.
    »Ich hab’s doch gewusst!«, explodierte mein Sitznachbar. »Das war eine bombensichere Sache! Und der Dönerverkäufer haut das Ding daneben!«
    Plötzlich schrie der Dicke mich an, als wäre ich persönlich dafür verantwortlich, dass die Bombe nicht ins Netz gekullert war. Der Typ riss sich sein blau-weißes Käppi vom Kopf. Verschwitztes, graublondes Haar fiel ihm in den speckigen Nacken. Wutentbrannt schleuderte er die Kopfbedeckung in Richtung Spielfeld.
    »So eine Scheiße! Der Goldstein hat doch nicht alle Lampen am Brennen! Ich hab gleich gesagt, der hätte in Paderborn bleiben sollen!«
    Na ja. Ich verfolgte das Ligageschehen zwar nicht zwanghaft, aber soweit ich informiert war, war der dritte Tabellenplatz nach Bochumer Maßstäben ein kleines Wunder. Mit dem neuen Trainer Goldstein hatte die Mannschaft die beste Saison seit Jahren gespielt.
    Inzwischen flogen halb mit Bier gefüllte Plastikbecher über unsere Köpfe hinweg und die zugehörigen Pappuntersetzer segelten wie Frisbeescheiben durch den Regen aufs Spielfeld.
    Es wurde ungemütlich. Die Tribüne entwickelte ein Eigenleben. Wie ein gigantisches, blau-weißes Ungeheuer, das gerade aus dem Schlaf erwachte, begann sie sich zu bewegen.
    »Zeit zu gehen«, fand ich.
    »Kannste vergessen.« Danner deutete auf die Menschenmassen, die plötzlich die Treppen zu den Ausgängen verstopften, während sich die Schalker jubelnd umarmten.
    Das aus dem Schlaf erwachte Ungeheuer fing an zu husten und zu fauchen. Und Feuer zu spucken: Ein brennender Schal landete auf dem Rasen. Dann ein T-Shirt. Und die gegnerischen Fans zündeten die nächste Rauchbombe. Der Stadionsprecher machte Durchsagen in warnendem Ton, doch seine Worte gingen in Qualm und Getöse unter.
    Immer mehr brennende Fanartikel segelten auf den Rasen. Die Sicherheitsleute in den Warnwesten brüllten Kommandos in die Menge.
    Der Schiedsrichter flüchtete eine Treppe am Spielfeldrand hinunter, in die Katakomben des Stadions.
    Die Spieler folgten ihm eilig.
    2.
    Es war beinahe elf Uhr, als Danner und ich es endlich mit der U-Bahn zurück nach Stahlhausen geschafft hatten.
    Unsere kleine Wohnung lag zehn Gehminuten von der Innenstadt entfernt, im zweiten Stock und praktischerweise direkt über unserer Stammkneipe Bei Molle.
    Danner zog sich die graue Glück-auf -Mütze von der Glatze und schnippte die Kopfbedeckung in Richtung Garderobenhaken. Sie segelte vorbei, prallte von der Wand ab und landete auf dem hellen

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