Tödlicher Puppenzauber
Was hätte sie verraten können?«
»Weiß ich nicht mehr.«
Suko packte es anders an. »Ihr habt schon einmal auf mich geschossen. Ebenfalls in einem Hinterhof, am Laden von Mr. Bing. Die Betonung liegt auf ihr. Da habe ich mehrere Männer gesehen, die im Rolls saßen. Wo stecken sie, und wo befindet sich Mr. Bing?«
»Keine Ahnung. Oder ja, sie sind unterwegs ausgestiegen und zurückgeblieben.«
»Das soll ich dir glauben?«
»Du brauchst es nicht.«
Suko ging noch näher und blieb erst stehen, als die Distanz zwei Schritte betrug.
Er konnte den Mann besser erkennen. Auf dem Kopf wuchs dunkles Kraushaar. Die Augen waren schmal. Dichte, balkenartige Brauen wuchsen wie gezeichnet darüber.
Der Inspektor hob die Beretta so weit an, daß die Mündung direkt zwischen die beiden Balken zielte. Wenn er abdrückte, traf er die Stirn des anderen.
»Wo sind sie?«
Der Araber hob nur die Schultern. »Willst du eine Kugel?«
»Du bist ein Bulle, nicht?« fragte er grinsend und sprach sofort weiter.
»Bullen dürfen in dieser Situation nicht schießen. Das weißt du doch selbst. Ich glaube nicht, daß du abdrückst.«
»So sicher wäre ich an deiner Stelle nicht. Es gibt Ausnahmen. Bei kaltblütigen Killern, zum Beispiel…«
Der Kerl fing an zu lachen. Das irritierte Suko. Er rechnete mit einem Trick, damit, daß der Mörder ihn ablenken wollte.
Das war in der Tat so, denn im abgestellten Rolls hatte sich jemand bewegt, ohne daß Suko es wahrgenommen hätte. Der Mann, der sich dort versteckt gehalten hatte, konnte alles beobachten und war zu dem Entschluß gekommen, eingreifen zu müssen.
Vom Fond her war er nach vorn geklettert und auf den linken freien Fahrersitz gelangt.
Dort hatte er sich zusammengeduckt und abgewartet. Dabei war er äußerst behutsam vorgegangen. Soeben konnte er durch die Scheiben und auf den Hof schauen, wo die beiden Männer zusammenstanden. Der Mann im Rolls überlegte. Er hatte nicht damit gerechnet, daß sich die Lage dermaßen zuspitzen würde. Nicht allein, daß diese Nutte erschienen war, auch noch dieser verdammte Chinese, der die Spur aufgenommen und ihr Ende erreicht hatte. Das sollte auch sein Ende sein.
Der Mann griff unter das Revers seines grauen Mantels. Als er das kühle Metall der Schußwaffe an seiner schweißfeuchten Hand spürte, zuckte ein Lächeln um seinen Mund. Es war gut, sich auf die Schußwaffe verlassen zu können. Es war noch besser, daß er Trainingsstunden genommen hatte und als guter Schütze galt.
Mit der linken Hand tastete erzürn Türriegel. Er hatte auch das Fenster nach unten kurbeln können, das aber hätte ihn bei seinen Aktionen nur eingeengt. Es war besser, wenn er den Wagen verließ und die offenstehende Tür als Deckung ausnutzte. Er öffnete den Wagenschlag, hörte das Lachen seines Kumpans, stemmte die Tür ganz auf, stellte sich hin und zielte über den Holm hinweg auf den Rücken des Chinesen.
Langsam krümmte sich sein rechter Zeigefinger…
***
Die erste Puppe drückte sich durch den Spalt und fiel dem Fußboden entgegen.
Ich beobachtete sie genau. Sie hatte die Hände hochgerissen. Das rote Kleid flatterte wie eine Fahne, die Beine waren etwas gespreizt. Dann prallte sie auf die Bohlen. Dicht vor den Füßen ihres großen Meisters kippte sie nach vorn, stemmte sich ab und kam wieder hoch. Bing hatte sich gebückt und den rechten Arm ausgestreckt. Mit der Handfläche strich er über das halblange, blonde Haar der Puppe, das vorn von einer großen Schleife verziert wurde.
Es war ihm anzusehen, wie sehr er seine Kinder liebte. Er behandelte sie, als wären sie seine eigenen Geschöpfe.
Ich schaute auf Jessica Long. Sie sah dem Puppenmacher ebenfalls zu. In ihren Augen stand Abwehr. Man merkte ihr an, daß sie diesen Mann nicht mochte. Sie litt auch darunter, sich nicht bewegen zu können. Bing hob sein ›Kind‹ hoch. Er trug die Puppe vorsichtig in die Höhe, ein Lächeln auf den Lippen, ein Strahlen in den Augen, als wäre die Puppe ein besonderes Kunstwerk.
Kein Kind konnte sie sanfter und liebevoller behandeln als er. Der Mann drehte sich um. »Sie ist wunderbar«, sagte er. »Ein kleines Meisterwerk.« Die Worte galten mir, auf mich kam er auch zu. Hintergründig und teuflisch lächelnd, die Puppe vor sich haltend, als wollte er sie mir in die Arme drücken.
Er beging nicht den Fehler, in die Schußbahnen der Waffen zu laufen. Geschickt umging er sie, zudem wechselten meine Bewacher ihre Positionen, und Mr. Bing blieb
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