Tödlicher Puppenzauber
Lichter, nur reichte der Schein nicht aus, um den Hinterhof zu erhellen. Er verlor sich noch in der Höhe und auch über dem Wagendach des Rolls.
Suko schaute schräg nach vorn. Dort mußte das Haus liegen, in dem Jessica wohnte. An dessen Rückfront wuchs wie ein schräges, geometrisches Kunstwerk etwas hervor, das sich von der Fassade hell abhob.
Ein gläserner Anbau, wie Suko auch bei diesen Lichtverhältnissen erkennen konnte.
Jessica war Künstlerin. Menschen mit diesen Berufen fühlen sich in normalen Wohnungen oft eingeengt. Außerdem brauchen sie für ihre Arbeit oft Tageslicht. Deshalb liebten sie die Schrägdachateliers, durch die das Sonnenlicht ungehindert scheinen konnte.
War der Wagen besetzt?
Das mußte Suko herausfinden. Wenn sie ihn entdeckten, dann im letzten Augenblick. Ergriff zu einem alten Trick und ging in die Hocke. In dieser Haltung blieb er nicht lange. Es spielte keine Rolle, wie schmutzig der Boden war, Kleidung konnte man erneuern, das Leben nicht. So robbte der Inspektor dicht an der Hauswand entlang in Richtung Rolls. Der Steinboden war kalt. Er stank auch wegen der vollen Mülltonnen, die neben der Wand standen.
Suko hütete sich davor, die Tonnen auch nur zu berühren. Er schlich an ihnen vorbei.
Aus seiner Perspektive wirkte der Wagen noch größer. Der silberne Kühlergrill schimmerte selbst im Dunkeln wie ein kostbares Relief. Auch die getönten Scheiben gaben einen matten Glanz ab. Wenn jemand im Wagen lauerte, so hatte er Suko noch nicht entdeckt, oder?
Dicht vor dem linken Vorderreifen des Rolls hielt Suko an. Wagen und Reifen gaben ihm Deckung.
In dem Gefährt tat sich nichts. Der Chinese ließ einige Sekunden verstreichen. Er lauschte in die Stille des Hofes hinein, ohne ein verdächtiges Geräusch zu hören. Hin und wieder nur klang eine Stimme schwach an seine Ohren, wenn Menschen in ihren Wohnungen zu laut sprachen. Auch an die Restechos irgendwelcher Musikklänge hatte er sich längst gewöhnt. Diese Laute hakte er ab. Tat sich etwas? Ja, da waren Schritte zu hören. Noch in der Einfahrt. Jemand wollte auf den Hinterhof und ging völlig normal. Suko wechselte seine Stellung. Er stemmte sich nun mit dem Rücken gegen die Wand. So hatte er einen relativ guten Überblick. Wenn ihn sein Gehör nicht täuschte, mußte es eine Frau sein, die durch die Einfahrt schritt. Das Hämmern ihrer Stöckelschuhe war deutlich zu vernehmen.
Dann trat sie auf den Hof. Zuerst nur ein Schatten, der noch zwei Schritte machte, stehenblieb und sich verbreiterte, weil ein Mantel aufgeklappt wurde.
Suko erkannte die Person. Es war die Dirne von der anderen Straße. Was wollte die denn hier?
»He!« rief sie in den Hof hinein. »He, Chinese, bist du noch da? Kumpel, gib Antwort!«
Ihre Stimme warf Echos, die von den Hauswänden zurückgeworfen wurden.
»Mann, stell dich nicht so blöd an. Sag, wo du bist?«
Suko schwieg.
Die Frau ging weiter. Nach zwei kurzen Schritten stoppte sie und drehte sich auf der Stelle, den Mantel noch immer ausgebreitet und die Hände in dessen Taschen vergraben.
»Stell dich nicht so an! Ich weiß, daß du auf dem Hof bist. Ich will dir auch nur was sagen. Mir ist eingefallen, daß ich die Kerle im Rolls gesehen habe. Und nicht nur das…«
Ist die denn wahnsinnig? dachte Suko. Die redet sich um ihren Kopf. Wenn jemand in dem Rolls die Worte hörte, war es vorbei.
»Ja, Chinese, ich habe sie gesehen. Die hatten sogar Kanonen. Also gib acht — okay?«
Da passierte es. Es hatte ja so kommen müssen, und Suko war so verdammt hilflos.
Gegenüber der Frau entstanden kurz hintereinander zwei kaum erkennbare fahle Lichter. Mündungsfeuer! Die Schüsse waren kaum zu hören. Ihre Wirkung jedoch sah Suko. Die Frau zuckte zweimal zusammen, beugte sich zuerst nach vorn, kippte dann zur Seite und blieb regungslos auf dem schmutzigen Pflaster des Hinterhofs liegen. Sie war nicht einmal dazu gekommen, einen Schrei abzugeben. Suko hatte das Gefühl, als wäre sie tödlich getroffen worden. In Suko stieg eine unheimliche Wut hoch. Er biß die Zähne derart hart zusammen, daß sie knirschten. Schauer rannen über seinen Körper. Diesen kaltblütigen Mord beobachtet zu haben, war mehr, als ein Mensch vertragen konnte.
Er konnte nichts tun, noch nicht. Er hockte noch immer im Schatten der Mauer, aber er wußte auch, daß der oder die Killer darüber informiert waren, daß sich jemand im Hinterhof aufhielt. Vor ihrem Tod hatte die Frau noch laut genug sprechen
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