Tödlicher Staub
beim Verhör vorlegen.«
»Verhör? Ich weigere mich, verhört zu werden!«
»Da war Igor Germanowitsch aber kooperativer als Sie …«, warf Fontana ein.
Sendlinger spürte ein Kribbeln in den Adern. Was hatte Sybin erzählt? Hatte er überhaupt auf Fragen geantwortet, oder bluffte dieser unsympathische Fontana nur? Gehen wir zum Angriff über.
»Ich wiederhole: Ich kenne keinen Sybin. Ich verlange eine Gegenüberstellung.«
»Das ist im Moment nicht möglich. Er befindet sich auf dem Weg zu einer anderen Dienststelle, aber es geht ihm gut. Er ist froh, daß er alles hinter sich hat.«
Ducoux mußte sich abwenden. Solche Nerven wie Fontana möchte ich haben, diese Kaltschnäuzigkeit. Er begann, ohne es zu wollen, Fontana zu bewundern.
»Ziehen Sie sich endlich an, Docteur«, sagte Ducoux. Er hörte Fontana kauen und daß er sich sogar eine Tasse Kaffee eingoß.
»Und wenn ich mich weigere?«
»Das ist doch sinnlos! Das hilft Ihnen nicht.«
»Moment.« Fontana legte sein halb gegessenes Croissant auf den Tisch und hob die Faust. Sendlinger wich zurück. »Nur zur Information, Dr. Sendlinger«, sagte er. »Sehen Sie sich diese Faust an. Ich war einmal Mittelgewichtsmeister im Boxen in meinem College, und diese Kraft habe ich noch nicht verloren.«
»Sie drohen mir mit körperlicher Gewalt? Ich werde in der Öffentlichkeit …«
»Sie werden sich jetzt anziehen!« Dick Fontana griff wieder nach dem Croissant. »Und das mit der Öffentlichkeit vergessen Sie. Man hat Sie zur geheimen Verschlußsache erklärt. Die Medien werden nichts erfahren. Für die Öffentlichkeit sind Sie Luft!«
Dr. Sendlinger fügte sich. Er sah ein, daß weitere Diskussionen sinnlos waren. Das einzige, was ihm blieb, war hartnäckiges Leugnen – und falls Beweise vorgelegt wurden –, alle Ermittlungsergebnisse anzufechten und zu zerpflücken. Gleichgültig, was Sybin ausgesagt hatte … er würde dabei bleiben, ihn nicht zu kennen, und dahingehend plädieren, daß ein ihm unbekannter Russe die Straftaten auf ihn abschieben wolle. Dabei würde es ein Rätsel bleiben, woher dieser Sybin den Namen Sendlinger kannte. Aus dem Telefonbuch, willkürlich herausgesucht? Und Beweise lagen keine vor, nicht die geringsten, und auch in der Kanzlei würde man bei einer Durchsuchung nichts finden. Keine Notizen, keine Hinweise, keine Namen. Die ganze Anklage mußte in sich zusammenfallen. Aber eines war damit erreicht worden: Der Plutoniumhandel mußte gestoppt werden, und er mußte vorerst untertauchen. Und später? Wenn Sybin an Rußland ausgeliefert wurde, würde er in einem Straflager in Sibirien verschwinden. Wer sorgte dann für Nachschub? Die Abnehmer warteten auf weitere Sendungen. Es war unmöglich, auch nach Sybins Ausschaltung die Quellen versiegen zu lassen.
Sendlinger zog sich an und streckte dann seine Arme aus. Ducoux schüttelte den Kopf.
»Keine Handschellen?« fragte Sendlinger.
»Ich setze voraus, daß Sie ein Ehrenmann sind.«
»Auf einmal? Als Atomverkäufer?«
»Als Mann, der seine Schuld mit Würde trägt und mit uns unauffällig das Crillon verläßt.«
»Ich bin mir keiner Schuld bewußt. Gehen wir.«
Fontana entriegelte die Tür, und erst jetzt begriff Sendlinger, daß er von Anfang an in einer luxuriösen Zelle gewesen war. Er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen und sagte beim Verlassen des Zimmers zu Fontana:
»Wir sind hier nicht in Chicago, Captain … und es ist auch nicht meine Art, mir den Weg freizuschießen. Ein Unschuldiger reagiert so nicht.«
Waldhaas hatte gerade sein Frühstück beendet und wollte noch einmal in sein Zimmer gehen, als er Sendlinger in Begleitung von zwei Männern durch die Halle zum Ausgang gehen sah.
Ruckartig blieb er stehen und versteckte sich hinter einer Säule. Ein Mann links, ein Mann rechts und in ihrer Mitte der Dritte. Das kannte er zu genau, das hatte er selbst Hunderte Male praktiziert: das Abführen eines Verhafteten.
Es war für Waldhaas nicht schwierig, die Zusammenhänge zu erkennen: Sybin nicht im Hotel, Sendlinger verhaftet … das ist einfachstes Einmaleins. Es war nicht nötig, darüber nachzudenken, was in der Nacht passiert war …
Waldhaas handelte sofort, auch das war Stasi-Ausbildung: Nicht zögern … zugreifen. Wer wartet, kann später hinterherlaufen. Oder – wie Gorbatschow sagte – wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. In dieser Situation bedeutete das: sofort weg aus Paris – noch weiß niemand, wer du bist.
Er bezahlte die
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