Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tödlicher Staub

Tödlicher Staub

Titel: Tödlicher Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
nicht von der Sorte, die mit einem Bündel Rubel eine schöne Frau auf den Rücken zwingen. Ich möchte nicht einer Ihrer Stundenkunden sein.«
    Natalja veränderte ihre Haltung nicht. Sie hielt die Augen geschlossen und sonnte sich weiter. Geradezu beleidigend sagte sie nur:
    »Und warum sitzen Sie dann da und reden so dumm?«
    »Ich möchte Sie nach Ihrem letzten Tanz einladen.«
    »Also doch. Sagen Sie das der Tänzerin in der Bar!«
    »Nein, nicht in der Bar, Natalja. Ich lade Sie ein zu einem Essen im Kasan.«
    Natalja öffnete die Augen, aber sie sah ihn nicht an. Sie blickte in den blauen Himmel und auf eine fast runde, weiße Wolke, die träge in der Unendlichkeit schwamm.
    »Ins Kasan kommt man nur mit einer tagelangen Vorbestellung. Und außerdem ist es längst geschlossen, wenn ich meinen Auftritt beendet habe.«
    »Ich komme zu jeder Zeit hinein. Wenn Sie sagen: Ja, ich komme … die Köche werden auf uns warten, die Kellner, der Pianist. Auf uns ganz allein.«
    Nun änderte Natalja doch ihre Haltung. Sie wandte sich wieder Sybin zu, warf einen Blick auf seine brillantenblitzenden Finger und sah ihm dann ins Gesicht.
    »Sie lieben Umwege?«
    »Nein! Ich habe nicht die Absicht, in Ihr Bett zu steigen … wenn Sie das meinen.«
    »Was sonst?«
    »Ich möchte mit Ihnen reden. Nur reden. Vernünftig reden. Ich glaube, das sagte ich schon. Ist dieser Wunsch so schwer zu erfüllen?«
    »Sie wären der erste Mann, der in meiner Gegenwart anders denken und mich nicht als eine Ware behandeln würde.«
    »Ich bin nicht wie jeder andere Mann.«
    »Sind Sie pervers?«
    »Manchmal ja – auch das kann ich sein.« Sybins Lächeln veränderte sich nicht. »Aber ich will nur reden! Ist Reden pervers?«
    »Jeder Mensch hat seine Eigenheiten. Was weiß ich?« Sie nickte. »Also reden wir …«
    »Sie sagen zu, Natalja?«
    »Aus Neugier – ja. Und nun lasen Sie mich allein, Igor Germanowitsch. Die Sonne versinkt schneller, als wir es uns wünschen … und ich will die Zeit genießen.«
    »Die Zeit genießen – das ist ein gutes Wort.« Sybin erhob sich von der Bank, ergriff Nataljas rechte Hand, hob sie an die Lippen und küßte sie. »Bis heute abend, Natalja Petrowna.«
    Er ging schnell und mit kräftigen Schritten davon und verschwand in der Menschenmenge, die auf der Promenade am Fluß den warmen Maitag genoß.
    Ein merkwürdiger Mensch, dachte Natalja und schloß erneut die Augen. Man lernt nie aus. Da will einer nur reden und könnte für tausend Rubel den schönsten Körper von Moskau in den Armen halten. Sybin. Igor Germanowitsch Sybin. Sybin? Wo hatte sie diesen Namen schon einmal gehört? Plötzlich wußte sie, daß er kein Unbekannter war … Sybin, das war ein Klang, der sich in ihr versteckt hatte. Irgendwo war das Wort Sybin schon in ihr Ohr gedrungen.
    Sie suchte in ihren Erinnerungen, marterte ihr Gedächtnis, doch Sybin kam nicht zum Vorschein. Als die Sonne blasser wurde, stand sie von der Bank auf, ging hinüber zu dem Taxistand und ließ sich nach Hause bringen. Jetzt gehörte sie zu den Privilegierten, die sich ein Taxi leisten konnten. Unterwegs ließ sie anhalten, kaufte für Mutter Sonja einen Blumenstrauß und für Väterchen Petr zweihundert Gramm Wodka und versank dann bis zur Haustür in tiefes Grübeln.
    Sybin. Sybin! Wer ist dieser Sybin? Ein Mann mit vier Fingern an der linken Hand. Ein Mann, der nur reden will – mit dem schönsten käuflichen Körper.
    Igor Germanowitsch, Sie werden mir unheimlich, aber Sie wecken auch meine Neugier. Ein interessanter Abend wird es werden …
    Der letzte Bühnenauftritt war zu Ende.
    Die Gäste in der Bar klatschten begeistert Beifall, auf dem Tisch der Garderobe lagen vier Kuverts mit Rubelscheinen, aber Natalja hatte gleich bei ihrem Kommen zu Semjon, dem Geschäftsführer, gesagt: »Heute nicht! Geh hin und sage den Kerlen, bei mir ist zugesperrt. Nichts … und wenn sie zehntausend Rubel bieten.« Und Semjon hatte sie ungläubig angestarrt und begriff es erst, als sie ihm die Kuverts in die Hand drückte.
    Sie hatte Sybin bereits bei ihrem ersten Auftritt an einem runden Tisch in der ersten Reihe sitzen sehen. Er trug einen maßgeschneiderten, dunkelblauen Anzug und dazu eine wildgemusterte Krawatte, und wenn die Scheinwerfer die Bühne erhellten, erzeugte ihr Strahlen ein Funkeln an seinen Fingern. Die Brillanten – zur Schau gestellter Reichtum. Die Protzerei der neuen, russischen Gesellschaft, die an dem seit 1990 gewählten radikalen Reformer

Weitere Kostenlose Bücher