Tödlicher Staub
Jelzin vorbei regierte, war eine im Verborgenen herrschende Macht, die in allen Bereichen, die Geld brachten, mitmischte. Die Kluft zwischen Arm und Reich war größer denn je geworden, und die Erinnerung an das alte Zarenreich tauchte wieder auf, als es die Adeligen und die Bojaren gab, und dann nur noch das gemeine Volk, die Kulaken, Tagelöhner und Bettler. Nur die Leibeigenen gab es nicht mehr … oder sie hießen jetzt anders. Wer abhängig war vom Wohlwollen seines Arbeitgebers, fühlte sich jetzt zwar frei, weil er alles glaubte, was dieser ihm einredete, aber in Wahrheit hatte sich am Sklaventum nichts verändert … es war nur nicht mehr so offensichtlich.
Im letzten Tanz steigerte sich Natalja noch um einige Nuancen. Sie stellte sich am Schluß Sybin gegenüber an den Rand der Bühne, zum Greifen nahe saß er da mit seinen Brillanten, und – jetzt kommt es, Sybin, dachte sie – spreizte die Beine und schob mit rhythmischen Stößen ihre Hüften nach vorn.
Sieh es dir an, Sybin, dachte sie. Sieh nur hin, du Brillanten-Igor! Nur reden willst du mit mir?! Reden! Läßt dich das völlig kalt, was du jetzt siehst? So bin ich. So und nicht anders. Das Mädchen auf der Bank am Fluß ist ein anderer Mensch, der nichts gemein hat mit dem, der dir jetzt entgegentritt!
Unter lautem Gejohle und Klatschen verließ Natalja die Bühne. Die Gäste waren außer Rand und Band, so etwas hatte man von Natalja noch nicht gesehen. Welch ein geiles Luderchen … bestimmt erhöhte sie ab heute den Preis.
Sybin wartete draußen auf der Straße, bis sich die Gäste zerstreut hatten und Natalja allein durch einen Seiteneingang die Bar verließ. Er kam ihr entgegen und begrüßte sie wie eine Schwester mit einer geradezu keuschen Umarmung.
»Du warst fabelhaft«, sagte er. Das Du war jetzt selbstverständlich. »Komm, steig ein. Im Kasan warten alle auf uns.«
Sybin zeigte auf einen großen, schwarzen Wagen, der einige Meter neben dem Eingang zur Bar parkte. Ein 600er Mercedes, blitzend vor Sauberkeit. Natalja blieb stehen und starrte Sybin an.
»Der da?« fragte sie.
»Ja.«
Ein Chauffeur stieg aus dem Wagen und riß die Türen auf. Wie bei den westlichen Kapitalisten nahm er sogar seine Mütze vom Kopf.
»Du hast einen Fahrer?« Natalja wurde es langsam unheimlich.
»Wie du siehst. Es ist Wladimir, genannt Wladi. Ein treuer, ergebener Mensch. Durchs Feuer geht er für mich. Ein starker Mensch … kann Karate und Kung-Fu und zerteilt mit seiner Handkante drei Ziegelsteine.«
Natalja rührte sich nicht vom Fleck. Der teure Wagen, ein Chauffeur, der Kung-Fu beherrschte, Finger voller Brillantringe, das Restaurant Kasan, das weit nach Mitternacht nur für ihn offenhielt, mit dem gesamten Personal …
»Wer bist du?« fragte sie.
»Sybin …«
»Und weiter?«
»Igor Germanowitsch.«
»Red keinen Unsinn! Ich will wissen, was du bist.«
»Darüber will ich mit dir im Kasan reden.«
»Bist du Besitzer eines geheimen Herrenclubs?«
»Nein.«
»Kontrollierst du die Moskauer Huren?«
»Laß uns fahren.« Etwas in Sybins Stimme hielt Natalja davon ab, weiterzufragen. Sie ließ sich am Arm nehmen und zu dem großen schwarzen Wagen führen. Sie nickte Wladi zu, ehe sie einstieg und sich in die dicken Lederpolster fallen ließ. Sybin setzte sich neben sie und legte den Arm um ihre Schultern.
Gleich wird er zu fummeln anfangen, dachte Natalja. Er ist doch nicht anders als die anderen Kerle. Aber ich werde ihm auf die Finger schlagen. Ja, das werde ich.
Doch Sybin benahm sich anständig. Er erzählte auf der Fahrt von einer Reise nach Bukarest, und als sie vor dem Portal des Kasan hielten, half er ihr vorbildlich, aus dem Wagen zu steigen.
Kasan, der Luxusgourmettempel Moskaus, empfing sie wie ein Zarenpaar. Der Pianist spielte an einem Flügel, die Kellner standen aufgereiht wie bei einer Parade, der Geschäftsführer überschlug sich fast mit: »Es ist uns eine Ehre. Bitte dort der Tisch mit dem Rosenstrauß«, und der Chefkoch wartete am Eingang zur Küche mit einem Blatt Papier in der Hand, auf das er die Vorschläge für ein exklusives Dinner geschrieben hatte.
Während des Essens, zu dem es einen milden, dunkelroten Wein aus Grusinien gab, plauderte Sybin über alles und Unwichtiges, aber als nach dem Kaffee und einem milden Kognak von der Krim der Tisch abgeräumt war und eine Flasche Krimsekt serviert wurde, sagte er plötzlich:
»Natalja, du bist zu schade, deinen Körper allen zu zeigen. Du bist zu schade, eine
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