Tödlicher Staub
stand bei den Huren an letzter Stelle.
Es war der Kapitän Tschutscharin, ein Sibirier, der als erster Natalja ansprach und in seine Wohnung führte. Er war ein rotgesichtiger, schwerer Mann mit einem deutlichen Bauchansatz, der, als er von der Uniform befreit und nackt war, sich noch mehr vorwölbte. Natalja sah ihn mit zusammengepreßten Lippen an. Nie, nie hätte sie einen solchen Mann an sich herangelassen, aber jetzt ging es um Väterchen und um die Mutter, sie sollten nicht hungern, sie sollten nicht in Verzweiflung versinken … und überhaupt – ob Bauch oder nicht Bauch, sie würde wie bei dem Studenten Jurij nichts empfinden, nicht das geringste Gefühl … man lag da, spürte einen immer wiederkehrenden Druck, hörte den schweren Atem, den letzten Seufzer … und das war dann alles. Aufstehen, waschen, anziehen und gehen.
Tschutscharin saß in seiner quellenden Nacktheit auf der Bettkante und sah mit flackernden Augen zu, wie sich Natalja auszog. Als sie den Slip abgestreift hatte und sich, vor ihm stehend, um sich selbst drehte, sagte er mit heiserer Stimme:
»Verdammt, bist du schön …«
»Das weiß ich, Genosse.«
»Komm her, du Engel.«
»Das Paradies kostet Eintritt. Wieviel zahlst du?«
»Zweihundert Rubel …«
»Dafür darfst du noch nicht mal meine Löckchen berühren.«
Es wurde fürchterlich, aber es dauerte zum Glück nur zwanzig Minuten – der sibirische Bär kapitulierte, lag ächzend und schwitzend auf dem Rücken und richtete sich erst auf, als Natalja angezogen aus dem Badezimmer zurückkam.
»Du warst wunderbar«, sagte er und strich sich mit beiden Händen über den schweißnassen Bauch. »Kommst du wieder?«
»Wenn du bezahlst, warum nicht?«
»Treffen wir eine Abmachung: alle zwei Wochen.«
»Ich werde es mir merken.«
In der U-Bahn während der Heimfahrt wunderte sich Natalja, daß dieser Einstieg in das Hurenleben sie so wenig berührte. In ihrer Jackentasche knisterten vierhundert Rubel … das allein war wichtig und bemerkenswert. Verdammt, du bist ein kalter Typ, dachte sie und begann, sich selbst zu analysieren. Deinen Körper hinzugeben, das berührt dich nicht … du mußt nur lernen, deinen Ekel zu unterdrücken. Denk an ein wogendes Kornfeld im Sommerwind, wenn er auf dir liegt und sich in dir bewegt, und denk an den Schrei der Wildgänse, die unter dem leuchtenden Himmel dahinziehen, wenn er dich umklammert und sich zum Höhepunkt stöhnt. Denk an alles, nur nicht an das, was du gerade tust. Steh immer außerhalb deines Körpers. Bleibe kühl bis ins Herz.
Natalja, du wirst eine Frau werden, die nur sich selbst liebt. Eine Frau aus Eis, an der die Männer verglühen, denn Eis brennt auf der Haut …
Einige Wochen lang glaubte Väterchen Victorow seiner Tochter, daß sie das Geld, das sie täglich bei ihm ablieferte, in einem Krankenhaus verdiente, nachmittags, als Hilfe auf der Station für Frauenkrankheiten. Eine Schulfreundin, deren Vater Arzt sei, habe ihr die Stelle vermittelt, erklärte sie, und Victorow hatte keinen Grund, ihr das nicht zu glauben. Er umarmte seine Tochter, küßte sie mehrmals und sagte gerührt:
»Welch ein Opfer bringst du uns, mein Schwänchen. Die Schule und danach die schwere Arbeit im Krankenhaus … ich bin stolz auf dich. Aber so soll es nicht bleiben. Irgendwo werde ich schon eine Arbeit bekommen; es kann ja in Rußland nicht so bleiben, wie es jetzt ist. Gorbatschow wird es schon schaffen … alles braucht seine Zeit … ein neues Rußland kann man nicht aus der leeren Hand zaubern. Nach siebenundsechzig Jahren Sowjetunion muß man erst Atem holen und sich daran gewöhnen, was freie Marktwirtschaft und Demokratie überhaupt bedeuten.«
Das war ein kluger Satz. Victorow hatte ihn bei einer Diskussion auf der Straße aufgeschnappt, als eine Gruppe unzufriedener Arbeitsloser sich nicht einig wurde, ob Gorbatschows Reformen wirklich ein Segen für Rußland waren, denn die Kritiker wurden immer lauter, und die Zahl der Verbrechen stieg an, je mehr die staatlichen Zügel durch die persönliche Freiheit gelockert wurden.
Bis zu jenem Tag, an dem ein Bekannter den ahnungslosen Victorow zur Seite nahm und diskret fragte:
»Hast bald einen Schwiegersohn, Petr Nikolajewitsch? Gratuliere. Natalja ist zwar noch jung, aber ihr Körperchen … Wie kann ein Mensch wie du nur eine so schöne Tochter haben?!«
»Wieso Schwiegersohn?« fragte Victorow erstaunt. »Was faselst du da? Es gibt keinen Schwiegersohn!«
»Leugne es nicht.
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