Toedlicher Staub
war erschüttert und verwirrt. Er hatte erwartet, Drogen oder Hinweise auf anderes Illegales zu finden, stattdessen gab es hier nur diese Kisten und Bücher. Dann fiel ihm der Laptop auf dem Schreibtisch ins Auge. Er schaltete ihn an, in der Hoffnung, kein Passwort zu benötigen. Und er hatte Glück. Auf dem Desktop erschien ein Foto. Nina und drei weitere Frauen lächelten ins Objektiv, alle drei in weißen Kitteln. Auf einem Schild rechts neben ihnen war zu lesen, dass sie sich in der Universität von Löwen befanden.
»Belgien. Da haben wir was gemeinsam«, murmelte er und zog die Maus auf den Ordner »Dokumente«, der dick mit Dateien vollgepackt war. Pierre suchte in den Schubladen nach einer unbespielten CD, fand dann aber etwas Besseres: zwei brandneue USB-Sticks. Er kopierte alles und steckte den Laptop in die Tasche. Er hatte beschlossen, auf Nummer sicher zu gehen. Schließlich durchsuchte er die Bücherregale, die jedoch ausschließlich wissenschaftliche Literatur enthielten, hauptsächlich auf Französisch oder Englisch.
Er kehrte ins Wohnzimmer zurück, ohne die Kellertür zu schließen. Das hatte Tore so angeordnet, und auch, dass er außerhalb des Kellers nichts anrührte. Nina sollte erkennen, dass da keine gewöhnlichen Einbrecher am Werke gewesen waren. Doch Nazzari war neugierig. Er lief die Treppe in den ersten Stock hinauf und betrat das Schlafzimmer. Kalt und unpersönlich wie das Wohnzimmer unten. Er zog die Schubladen auf. Alles perfekt ordentlich, und der große Stoffüberwurf, der als Tagesdecke diente, war so faltenlos gezogen, dass er aussah wie gemalt.
Ohne zu begreifen warum, war er immer enttäuschter. Vielleicht suchte er etwas, das zeigte, was für ein Mensch Nina war. Sie rauchte und trank wie ein Hafenarbeiter, fuhr einen verdreckten Geländewagen, aber ihr übriges Leben wirkte kalt und rational. Er verließ das Haus, ohne den Alarm wieder anzustellen, ebenfalls ein Befehl von Tore. Wahrscheinlich würde Nina dieselbe Firma erneut mit der Installation einer Alarmanlage beauftragen und Tore den Code wieder von der Firma bekommen.
»Alarmanlagen helfen eben nur gegen nichtautorisierte Einbrecher«, hatte Tore gescherzt.
Spätvormittags kam Mario auf einen Parkplatz beim Hausstrand zur Übergabe. Er telefonierte mit dem Handy, während er langsam heranrollte, bedeutete Pierre mit einem Nicken, er solle die Tasche auf den Rücksitz legen. Dann fuhr er weiter, ohne das Telefonat zu unterbrechen.
In der Bar herrschte Aufruhr. Unzugänglich für die Bemerkungen der Gäste stand Sebastiano Trincas da, die Arme verschränkt und mit entschlossenem Gesichtsausdruck, während er die Arbeiter beobachtete, die eine Leuchtreklame mit dem neuen Namen des Lokals anbrachten: Un posto al sole – der Titel einer beliebten Seifenoper.
»Die Gäste werden sich dran gewöhnen oder den Laden einfach weiter Flamingo nennen«, meinte Sebastiano, als Pierre hinter den Tresen ging. »Gloria, meine Frau, ist ein fanatischer Fan der Serie. Nie im Leben würde sie eine Folge verpassen, da könnte die Welt einstürzen, und ich dachte, das ist ein nettes Geschenk.«
»Die Bar gehört doch dir«, meinte Nazzari perplex, während er die Flaschen zusammenstellte.
Franchino beobachtete die Szene vom Sitz seines Mopeds aus und erstattete Ceccarello Bericht. »Er ist in ein Haus eingebrochen und arbeitet als Barkeeper in einem Strandlokal«, sagte er. »Seine Auftraggeber sind vermutlich zwei Typen, die mit Sicherheit irgendeiner Organisation angehören, mir ist nur noch nicht klar, was für einer.«
Ceccarello erwog die Situation gründlich. »Finde heraus, wer sie sind«, befahl er. »Wahrscheinlich dieselben, die uns den Deal neulich versaut haben.«
»Apropos, sind die Tunesier noch sauer?«
»Alle sind sauer, die Tunesier, die Sizilianer, die Kunden … Sie haben einen Haufen Geld verloren. Jetzt kommt es darauf an, klarzukriegen, was schiefgelaufen ist.«
Nina ließ sich an diesem Abend nicht blicken. Am nächsten auch nicht. Am dritten kam sie zum Aperitif. »Einen Negroni«, bestellte sie leise.
Pierre lächelte ihr zu, doch sie hatte nur eine Grimasse für ihn übrig. Sie war ungekämmt, hatte nicht mal den Schatten eines Make-ups aufgelegt und roch nach Schweiß. Völlig fertig.
»Alles in Ordnung?«, fragte er liebenswürdig, als er ihr das Glas hinstellte.
Nina schüttelte den Kopf. »Nein«, antwortete sie, »ganz und gar nicht.«
Sie trank drei Negroni. Als sie den vierten bestellte,
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