Toedlicher Staub
Sebastiano Trincas, sagst ihm allerdings nicht, was du für uns tust«, erklärte Tore. »Wir trauen ihm nicht, haben ihn aber bei den Eiern. Er kann uns nichts abschlagen. Genau wie du.«
Tore sah ihn im Rückspiegel an. Er war klein und schmächtig gebaut, die schwarzen Haare nach hinten gegelt. Pierre dachte, er konnte nur um Haaresbreite größer sein, als bei der Musterung zum Carabiniere verlangt wurde. Der andere, der sich Mario nannte, war zwanzig Jahre jünger und körperlich gut beieinander, ein typischer Handlanger. Tore schlug einen grünen Aktendeckel auf, holte eine Fotografie hervor und hielt sie Nazzari hin. Das Gesicht einer hübschen Fünfunddreißigerin, Haar und Augen pechschwarz, volle Lippen, kleine, fein geschnittene Nase.
»Maria Antonietta Tola«, erklärte er. »Allgemein Nina genannt. Tierärztin. Stammgast in Sebastianos Bar. Du wirst sie im Auge behalten! Am besten, du freundest dich mit ihr an.«
Nach einer Weile auf der Schnellstraße bog der Wagen auf eine Provinzstraße ein. »Wohin fahren wir?«, fragte Pierre.
»Nach Villaputzu«, antwortete Tore. »Da wohnt sie.«
Vierzig Minuten später verlangsamten sie bis fast auf Schrittgeschwindigkeit und fuhren an einem kleinen Einfamilienhaus am Rande des Ortes vorbei. Anonym, anspruchslos, ein kleiner Garten, der Rasen davor von der Trockenheit vergilbt.
»Hier wohnt sie«, erklärte Toro. »Als sie vor acht Monaten hergezogen ist, hat sie eine erstklassige Alarmanlage installieren und die Kellertür panzern lassen. Wir haben uns bei dem Unternehmen, das die Arbeiten ausgeführt hat, einen Zweitschlüssel besorgt. Du kommst ohne Probleme rein.«
»Was soll ich suchen?«, fragte Pierre.
»Das, was im Keller ist.«
»Und was ist das?«
»Keine Sorge, das wirst du schon sehen.« Tore wandte sich zum Fahrer. »Mario, hast du jemals einen Tierarzt ohne Hunde gesehen? Mit der Tante kann doch was nicht stimmen.«
Mario antwortete auf Sardisch. Sie fingen an herumzublödeln, und Nazzari nutzte die Gelegenheit zum Nachdenken.
»Und wenn sie mich erwischen?«, fragte er unvermittelt.
Tore zuckte mit den Schultern. »Das wird schon nicht passieren.«
Sie fuhren nach Cagliari zurück und setzten Nazzari auf einem Parkplatz neben einem alten Panda mit Vierradantrieb ab.
»Das da ist dein Wagen. Im Handschuhfach liegt ein Handy.«
»Ich habe kein Geld.«
Tore zog einen Umschlag aus der Innentasche seiner Jacke. »Hier, sieh zu, dass du damit auskommst.«
Ein Wodka Lemon und drei Gin Tonic waren die ersten Cocktails, die Pierre an diesem Abend unter Sebastiano Trincas’ wachsamen Blicken zubereitete.
»Der kennt sich aus«, bemerkte er so laut zu Cristina, dass Pierre es hören konnte.
»Gut so«, meinte die junge Frau. »Heut Abend wird ganz schön was weggehen.«
»Ciao, Nina«, grüßte Sebastiano, und Nazzari wandte rasch den Kopf. Tatsächlich, es war die Tierärztin. Der weiße Leinenanzug brachte ihre Bräune gut zur Geltung. Er beobachtete sie, während er mit dem Shaker hantierte. Er war nie besonders geschickt darin gewesen, ein Gespräch vom Zaun zu brechen, schon gar nicht mit Frauen. Zum Glück schaltete Cristina sich ein. »Nina, das ist Marco, unser neuer Barkeeper, der macht Wahnsinnscocktails.«
Nina lächelte. »Dann will ich sofort einen. Was empfiehlst du mir?«
»Lass mal überlegen.« Er dachte nach, was ihr schmecken mochte, nahm eine Flasche Cachaça, goss ein Glas halbvoll, dann fügte er Rohrzucker und gewürfelte Limette hinzu.
»Eine Caipirinha«, erkannte sie.
»Magst du das?«
»Na ja, verrückt bin ich nicht gerade danach.«
»Ich kann dir gern was anderes machen.«
»Nein, für den Anfang ist das okay. Aber danach möchte ich einen Negroni.«
»Gut. Dann geht der hier aufs Haus.«
Nina nahm das Glas und mischte sich unter die Gäste. Pierre beobachtete sie weiterhin und kam zu dem Schluss, dass sie niemanden näher kannte. Falls sie Freunde hatte, waren die noch nicht hier. Sie zündete sich eine Zigarette an, und die Art und Weise, wie sie das tat, gefiel ihm.
Obwohl die Sonne schon untergegangen war, lastete die Hitze unverändert auf ihnen. Nina trank zwei Negroni und rauchte ziemlich viel, bis die Lichter zum Konzert gedimmt wurden. Unterdessen waren viele junge Leute gekommen, die vor allem Bier tranken. Cristina öffnete eine Flasche nach der anderen, fast wie Charlie Chaplin als Fließbandarbeiter in Modern Times .
»Seit wie vielen Stunden arbeitet Cristina eigentlich schon?«,
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