Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tödlicher Steilhang

Tödlicher Steilhang

Titel: Tödlicher Steilhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
Vom Netzwerk:
glänzte es. Er roch daran und berührte es zuletzt sogar mit der Zunge – sich wundernd, dass ein Stein schmecken konnte, irgendwie salzig oder elektrisch, jedenfalls spürte er ein feines Kribbeln auf der Zunge.
    Das Weinlaub war längst nicht üppig genug, um den Boden komplett zu verdecken, es war Ende Juli. Auf einigen Parzellen wuchsen kaum kniehohe Schösslinge, auf anderen wieder trugen die Stöcke mehr üppiges Grün als anderswo. Lag es daran, dass der Boden dort mehr Wasser führte, oder am Alter der Rebstöcke? Georg wusste, dass es sich am Berg immer zu den Falten hinbewegte, und erfreut merkte er, dass er sich jetzt, wo er sich mit solchen Fragen beschäftigte, an Gehörtes erinnerte.
    Ganz so unbedarft, wie er sich in Weinangelegenheiten gab, war er nicht, nur hätte er es im Moment schlecht ertragen,wenn ihn jemand kritisiert, ausgelacht oder seine Fragen belächelt hätte. Um das auszuhalten, war seine Haut zu dünn, dazu war er zu schwach. Er machte sich an den Anstieg, schräg den Hang hinauf, mal auf einem asphaltierten Wirtschaftsweg, mal über ein Treppchen, dann wieder auf der Grenze zwischen zwei Parzellen. Rechts wuchs Gras zwischen den Rebzeilen, links waren bis auf die Rebstöcke alle Pflanzen braun. Er hielt den Blick in den Himmel gerichtet, musste aber, je höher er stieg, immer häufiger genau hinsehen, wohin er seinen Fuß setzte.
    Der Anstieg wurde anstrengend, das Schiefergeröll war locker, er rutschte weg – und fing sich wieder, doch als er den Kopf hob und sein nahes Ziel fixierte, rutschte er aus, wollte sich nicht am Rebstock festhalten, konnte sich sonst nirgends abstützen und fiel mit dem Gesicht auf die Steine. Es war ein harter Schlag.
    Erschrocken rappelte er sich auf, fühlte, wie seine linke Wange brannte, und als er vorsichtig mit dem Hemd den Dreck aus dem Gesicht wischte, klebte Blut daran. Auch das Knie schmerzte. Glücklicherweise ließ sich das trockene Erdreich leicht von der Hose abklopfen. Leider war auch die Haut am Ellenbogen abgeschürft. Das Brennen war wenigstens mal ein anderes Gefühl als Leere, sagte er sich und setzte den Aufstieg fort  – langsamer, jetzt vorsichtig geworden, vom Sturz aufgeschreckt. Auf diesem Steilhang standen Rebstöcke, an denen er sich zur Not festhalten konnte, aber auf freier Fläche könnte es böse ausgehen.
    Er verschnaufte wieder, ihm fehlte die Kondition, sein Leben war zuletzt in Bahnen verlaufen, die höllisch an seinen Kräften zehrten und ihn immer wieder zum Ausgangspunkt zurückführten. Nur den kannte er nicht, er drehte sich im Kreis. Hier aber war es anders, es war maßlos anstrengend, zumindest ging es nicht mehr im Kreis, sondern geradeaus und bergauf, und als er auf dem Kamm des Höhenzuges den Waldrand erreichte, wandte er sich um und konnte kaum begreifen,wie er heraufgekommen war. Und noch etwas anderes konnte er nicht fassen.
    Mit offenem Mund starrte er in das Tal, diesen Einschnitt in der Welt mit dem Fluss in der Tiefe, von wo er gekommen war und der nicht mehr grün schimmerte, sondern in einem grandiosen Blau die Farbe des Himmels wiedergab. Er hatte für eine Weile die entsetzliche Leere hinter sich gelassen und spürte, wie seine Augen nass wurden und ihm die Tränen übers Gesicht liefen.
    Er hatte es vermasselt, er hatte sein Leben vermasselt, seine Ehe, seine Familie, seinen Beruf, er hatte alles versaut. Er hatte immer nur getan, was andere geraten hatten – weil sie meinten, dass es richtig für ihn sei? Oder für sie selbst? Er hatte allen geglaubt und so den Moment verpasst, an dem es nicht mehr richtig für ihn gewesen war, sondern gut und bequem für alle anderen. Aber nicht sie waren schuld, sondern er selbst.

3
    »Meine Güte, was ist Ihnen denn passiert? Sind Sie den Berg heruntergekullert?« Die Haushälterin schien ehrlich besorgt, die Kratzer in Georgs Gesicht und die anderen Hautabschürfungen waren nicht zu übersehen. »Haben Sie die Wunden desinfiziert? Nein, natürlich nicht, wie auch, da ist noch Schmutz drin. Kommen Sie, ich mache das. Irgendjemand muss sich ja um Sie kümmern.« Resolut schob sie Georg zur Anrichte. »Sie warten hier, ich bin gleich zurück.«
    »Aber das Essen wird kalt«, entgegnete Georg. Es war ihm peinlich, dass alle sahen, wie tollpatschig er sich im Weinberg angestellt hatte.
    Nach einer Minute war Frau Ludwig mit Watte, einer weißen Sprühflasche und einem weichen Tuch zurück.
    »Das halten Sie aufs Auge, damit von dem Desinfektionsmittel

Weitere Kostenlose Bücher