Tödlicher Steilhang
anbieten. Verwöhnt sind wir nicht, aber gesund. Ihre Frau kocht bestimmt sehr gediegen?«
Hatte jemand bemerkt, wie sein Löffel auf dem Weg zum Mund stockte? Für Georg tat sich das nächste Problem auf. Kaum befand er sich unter Menschen, wurden Fragen gestellt, denen er lieber auswich.
»Seine Frau« – wenn er Miriam denn noch so nennen wollte – hatte anfangs mehr schlecht als recht gekocht (»Bin ich hier als Köchin engagiert?«) und im Laufe der Ehe immer neue Fertigprodukte eingeführt. Aus den Mülltonnen vor dem Haus quollen Plastikverpackungen und Pappschachteln, und selbst die Mülltrennung hatte den Zustand nicht verbessert. Nur die Biotonne blieb leer. Jasmin war dicker geworden, und Rose hatte häufig die Nahrungsaufnahme verweigert. Obwohl sie erst elf Jahre alt war, nahm er sie heimlich mit ins Restaurant, um es sich wenigstens ab und zu richtig gut gehen zu lassen. Sie hatte sowohl ihrer Schwester wieauch der Mutter gegenüber dichtgehalten. Anfangs hatte er befürchtet, dass sich bei ihr eine Anorexie abzeichnete.
Glücklicherweise war dem nicht so. Sie ekelte sich lediglich vor Junkfood, was ihr Miriam übel nahm. Aber vielleicht tat sie auch nur so, weil sie das Drama brauchte, sich aufspielen wollte, Gründe für Vorwürfe suchte, und in Wirklichkeit war es ihr scheißegal. Die Nachmittage gehörten dem Tennisplatz, dem Präsidenten von Rot-Weiß-Hannover und ihrem persönlichen Trainer, die Abende irgendwelchen Vernissagen. Sie hätte gern die Mäzenatin junger bildender Künstler gespielt, doch das, und auch das ein dauernder Vorwurf, hatte er nicht finanziert.
»Wenn ich gewusst hätte, dass er in dieser Position stecken bleibt, hätte ich ihn nie geheiratet«, hatte sie der Ehefrau eines Bekannten anvertraut. Sein Fehler war, sich damals nicht auf der Stelle getrennt zu haben.
Er merkte, wie wenig er damit fertig war. Die Wut kochte in Sekunden hoch, und er war froh darüber. Früher hatte er gemeint, es müsse alles so sein, wie es war. Er riss sich zusammen, er merkte, wie sein Gesicht starr und böse geworden war.
»Sie sagen ja gar nichts.«
Frau Ludwig sah ihn besorgt an, und die anderen am Tisch schlugen die Augen nieder, als er aufblickte. Er konnte der Antwort, die ihm zutiefst peinlich war, nicht ausweichen. Er hätte nicht kommen sollen. Kaum nahm er selbst etwas in die Hände, manövrierte er sich in Schwierigkeiten. Sollte er lügen? Nein, das hatte er zu lange getan.
»Meine Frau hatte einen Vertrag mit Bofrost, mit Dr. Oetker, Knorr und Maggi. Vom Gemüseputzen wurden ihr die Finger wund, gegen frische Milch war sie allergisch, der Geruch von Fisch verpestete angeblich die Küche. Und Brot hat sie nur geschnitten gekauft, am besten abgepackt.«
Die Frauen am Tisch zuckten bei den harten Worten, die Männer verstanden die Ironie nicht.
»Aber – Sie haben doch Kinder, wie ich gehört habe«, meinte Frau Ludwig, ihre Empörung war echt. »Die brauchen eine gesunde Ernährung zum Wachsen, zum Lernen, damit sie sich wohlfühlen. Ich habe auch zwei Mädchen.« Sie erzählte, dass sie ihre Töchter morgens zur Oma bringe, für die Schule seien sie noch zu klein, und nachmittags, wenn sie hier fertig sei, hole sie die beiden ab. »Können Sie kochen?«
»Meine Kunst erschöpft sich im Pellen von Kartoffeln und dem Kochen von Nudeln. ›Du machst Dreck, raus aus der Küche‹, hat meine Frau immer gesagt …«
»Daran haben Sie sich gehalten?«
»Was bleibt einem übrig?« Es klang selbst in Georgs Ohren zu hilflos und im Nachhinein mehr als absurd, geradezu lächerlich.
»Ich bring’s Ihnen bei, natürlich nur, wenn Sie wollen. Essen und Wein gehören zusammen wie eineiige Zwillinge. Unser lieber Herr Bischof tut’s nur nicht, weil seine Frau ausgezeichnet kocht.«
»… und weil er ein Ignorant ist«, fügte Frau Wackernagel hinzu und grinste den Kellermeister herausfordernd an. »Aber im Keller vollbringt er wahre Wunder, da ist er ein hervorragender Lehrmeister, nicht wahr, Klaus?«
Der junge Mann verdrehte die Augen. »Das wird sich bei der Gesellenprüfung zeigen.«
»Sie können direkt heute Nachmittag beginnen«, schlug Frau Wackernagel vor. »Wie lange bleiben Sie?«
»So lange Sie mich ertragen.« Sofort ärgerte sich Georg über die dumme Antwort. Wieso machte er sich sogar in diesem Kreis klein? Oder war er wirklich so klein, zurzeit jedenfalls?
»So lange bleiben Sie? Ich dachte, Sie sind auf Urlaub hier«, meinte Frau Wackernagel erfreut.
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