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Tödlicher Steilhang

Tödlicher Steilhang

Titel: Tödlicher Steilhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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nicht auszumachen, es gab keine Zäune, nur Markierungen, Schildchen mit Namen an Pfählen, ansonsten nur an Weinstöcke gebundene gelbe Plastikstreifen, die im Wind flatterten. Ihre Bedeutung würde irgendwer ihm irgendwann erklären, jetzt jedenfalls wollte er es nicht wissen. Vieles war derart kompliziert, dass er die Zusammenhänge längst vergessen hätte. Alles stand mit allem in Verbindung. Sogar das Licht, das die Wasserfläche der Mosel reflektierte, sollte sich auf die Reife des Weins auswirken. Ob diese These wissenschaftlich haltbar war, wie sollte er das sagen? Und selbst die Wassertemperatur sollte sich auf das Gedeihen des Weins auswirken.
    Beim Wein spielten derart viele Komponenten zusammen, dass man die Übersicht verlor, vom Boden über das Licht, seinen Einfallswinkel – wie bei der Sonnenuhr, die genau nach Süden ausgerichtet sein musste; Südlage: Das waren angeblich auch die besten Weinberge. Außerdem waren nicht nur die Temperaturen, sogar in der Erde, wichtig, auch ihre Schwankungen zwischen Tag und Nacht, und natürlich die Niederschläge und wann, in welcher Jahreszeit es regnete. Alle Rebsorten reagierten unterschiedlich, hatte ihm Sauter erklärt und gemeint, dass er selbst vieles nach einem langen Leben im Weinberg nicht wisse. Unter einer Rebsorte gab es diverse Klone, die für diesen oder jenen Boden mehr oder weniger geeignet waren und wer weiß welche Standorte bevorzugten. Georg stöhnte, er würde es nie lernen. Dieeinen brauchten trockenen Boden, andere hatten es gern ein wenig feuchter. Und dann gab es wurzelechte Reben, die nicht auf amerikanische Unterlagen aufgepfropft werden mussten, da es im Steilhang keine Rebläuse gab.
    Sauter hatte bei ihren seltenen Treffen und selbstverständlich auch, wenn er in Hannover im Restaurant, sei es im »Vienna« oder in »Beckmanns Weinhaus«, vor illustrem, zahlungsfähigem Publikum seine Weine vorgestellt hatte, weitschweifige Erklärungen abgegeben, die von den meisten Gästen nicht unbedingt gehört werden wollten. Ihnen war es um den Event gegangen, darum, sich zur Gruppe der illustren Weinfreunde zählen zu können.
    Das Einzige, was Georg über einen Wein sagen konnte, war, ob ihm die Farbe gefiel, ob er gut duftete, er konnte riechen, ob ein Weiß- oder Rotwein im Barrique gelegen hatte, vinifiziert worden war, wie es die Winzer nannten, und ob er ihm schmeckte. Ja er hatte sogar festgestellt, dass manche Weine besser zu diesem oder jenem Essen passten als andere, er konnte »schwer« und »leicht« voneinander unterscheiden, und zu Fisch trank er grundsätzlich Weißwein. Aber war es von Bedeutung, ob sich ein Riesling aus der Pfalz von einem Moselwein unterschied?
    Jetzt, am Fuß der graubraunen Mauer, die den riesigen Weinberg von der Straße trennte, hatte Georg alles Gehörte vergessen und dachte nicht mehr an Wein, er dachte an einen Berg von Arbeit, denn rechts von ihm sah er einen Raupenschlepper und ein Stück daneben zwei Männer im Weinberg, die einer Art Egge folgten, die von einer Seilwinde am Hang nach oben gezogen wurde.
    Staunend betrachtete Georg die Mauer vor sich, ihre Struktur, ihre minimale Neigung nach innen. Arbeiter hatten Schieferplatten von Hand zu Trockenmauern geschichtet und andere wieder mit Zement verbunden. Große Platten waren hergebracht worden, kleine Brocken hingegen lagen überall herum. Der Weinberg bestand aus nichts anderem,es war Schieferverwitterungsboden. Sogar die Stufen des schmalen, in die Mauer eingelassenen Treppchens waren aus Schiefer.
    Er stieg hinauf und stand am Rande eines Weinbergs, vieler Parzellen oder Flurstücke, wie auch immer man die immense Fläche vor ihm nennen wollte, die sich rechts kilometerweit ausbreitete. Der Hang war steil, es würde anstrengend sein, hinaufzusteigen, er legte den Kopf in den Nacken, um den Grat des Berges zu sehen. Darüber war nur noch der Himmel. Die Flächen ließen sich bei genauerem Hinsehen gut voneinander unterscheiden. Grün und Grau waren die vorherrschenden Farben, die Unterschiede zeigten sich in den Schattierungen, sie waren mal heller, mal dunkler, mal satter oder fahl, das Grau des Schiefers zeigte auch stellenweise einen leichten Blauschimmer. Hier war der Boden bewachsen, andernorts nicht, mal war jede, mal nur jede zweite Rebzeile gepflügt oder das Gras abgestorben. Es war heiß geworden, er zog den Pullover aus und hängte ihn sich um die Schultern.
    Als Georg ein Stück Schiefer in die Hand nahm und an seiner Hose abrieb,

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