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Tödlicher Steilhang

Tödlicher Steilhang

Titel: Tödlicher Steilhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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Mittagspause studierte Georg die betriebswirtschaftlichen Auswertungen der letzten Monate und die Jahreszahlen. Das Unternehmen stand gut da. Auch wenn er jetzt Einblick hatte, griff er nirgends ein. Zwischen den Anrufenvon Kunden und Lieferanten meldete sich der Vertreter einer Maschinenbaufirma, die alle Mitarbeiter zur Vorführung einer Geier-Raupe einlud. Es handelte sich um ein Spezialfahrzeug für Steillagen, mit dem vom Laubschnitt über das Spritzen bis hin zur Lese alles bewerkstelligt werden könne  – und das bis zur Steigung von sechzig Prozent und höchster Sicherheit für den Fahrer. War das nicht die Steigung des Ürziger Würzgartens? Nur der Calmont, der calidus mons , der warme Berg der Römer, war mit einem Neigungswinkel von achtundsechzig Grad steiler – er sollte überhaupt der steilste Weinberg Europas sein.
    Georg notierte die Terminvorschläge des Vertreters. Er wollte sich die Vorführung ansehen, er konnte etwas dabei lernen, und für jede Ablenkung war er dankbar. Und wenn die Arbeitskräfte knapper wurden, musste man sich frühzeitig um technische Alternativen kümmern. Er erinnerte sich an die Thesen zum Erhalt des Steillagenweinbaus.
    Als er aufgelegt hatte, zögerte er. Was geht es mich an, was an der Mosel geschieht, fragte er sich und griff, ohne die Frage zu beantworten, zu einer Broschüre über die Mosel. Muschelkalk, Schiefer und Buntsandstein, dazu kieselsäurehaltige Grauwacken, was immer das war, daraus bestanden die Berge längs des Flusses. Die Gesteinsarten sollten angeblich im Wein herauszuschmecken sein. Wie viele Jahre musste man das trainieren? War Sauter dazu in der Lage?
    Riesling hatte, soweit Georg es feststellen konnte, Duftnoten von Apfel, Pfirsich und Aprikose. Bischof hatte ihm neulich zu Übungszwecken einen Müller-Thurgau neben den Riesling gestellt, in Deutschland die zweitwichtigste Rebe. Bei ihr hatte er nach vielen Versuchen ein Birnenaroma festgestellt – und erst auf Bischofs Hinweis hin auch Muskat herausgerochen.
    Zweiundzwanzigtausend Hektar waren in Deutschland mit Riesling bestockt, davon lagen fünftausenddreihundert Hektar an der Mosel – wie er der Broschüre des DeutschenWeinbauinstituts entnahm. Danach kam Müller-Thurgau, und wie er jetzt las, war Rivaner ein anderer Name dafür. Vom Weißen Elbling und dem Kerner hatte er nicht die geringste Vorstellung, wobei unter den Roten der Spätburgunder am häufigsten war. In den vergangenen zehn Jahren war an der Mosel die Rebfläche von knapp dreizehntausend Hektar auf etwas weniger als neuntausend Hektar gesunken, mit weiter abnehmender Tendenz. Aber was bedeuteten schon Zahlen?
    Er dachte danach an die Zahl der Männer, die bei Albers’ letzter Sitzung in Bernkastel-Kues anwesend waren. Fünfzehn waren es gewesen. Sie alle aufzusuchen würde Wochen dauern. Schließlich war jeder verdächtig, der nicht mit einem anderen gemeinsam die Sitzung verlassen hatte und allein im Nebel jener Nacht, als er in Hannover seine Koffer gepackt hatte, untergetaucht war.
    Was war das Thema der Sitzung gewesen, was der Grund der Kontroversen? Konnte er den Polizisten nach den Alibis fragen, diesen Wenzel, ohne dass Sauter in die Schusslinie geriet? Und wie sollte er begründen, dass er von Menges auf Albers gekommen war? Es war denkbar, dass ihn der Polizist danach fragte.

11
    Frau Wackernagel war auch heute nicht erschienen, Georg war allein im Büro. Beim Wählen hoffte er, dass nicht zufällig Jasmin den Hörer abnahm, sie tat es selten, selbst wenn sie im Flur neben dem Apparat stand, war es ihr zu anstrengend, und sie wurde schnippisch: »Ist ja doch nicht für mich. Mich ruft man auf meinem Smartphone an.« Damit war für sie das Thema erledigt.
    Als er sie kürzlich aufgefordert hatte, ihr Frühstücksgeschirr selbst in die Küche zu bringen, war ihm sogar Miriam in den Rücken gefallen: »Degradierst du deine Tochter zum Dienstmädchen?«
    Das Frühstück für die Mädchen machte längst er, Miriam bewegte sich sowieso nur vom Wohnzimmer zur Garage und auf dem Tennisplatz. Da hatte Rose eines Tages aus freien Stücken  – oder aus Mitleid?  – ihm dabei geholfen. Sie nahm sogar um des lieben Friedens willen das Geschirr ihrer Schwester aus dem Esszimmer mit in die Küche. Jasmin würde eines Tages unfähig sein, überhaupt noch aus dem Bett aufzustehen. Es war schwer, ein Kind zu lieben, von dem man lediglich als Idiot und Geldautomat betrachtet wurde.
    Seine Wut richtete sich nicht gegen

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