Tödlicher Steilhang
Niemand hat ihn wiedergesehen.«
»Wie lange ist das her?«
»Ach – Susanne war gerade mit Kilian schwanger. Der Chef und Herr Bischof wissen das genau, Bischof hat damals bereits hier gearbeitet. Fragen Sie ihn.« Bevor Georg ihr weitere Fragen stellen konnte, war sie aus dem Esszimmer geeilt.
Verschwunden? Niemand verschwindet einfach so, sagte sich Georg. Irgendetwas geht dem Verschwinden immer voraus. Es stellte sich nur die Frage, ob man die Anzeichen wahrnahm und richtig deutete. War Susanne Berthold deshalb so abweisend, weil sie die Zeichen falsch gedeutet hatte?
Frau Ludwig kam noch einmal zurück. »Das Wichtigste habe ich vergessen. Wir haben Sie zur Büroarbeit eingeteilt, Kollegin Wackernagel muss um zehn Uhr zum Zahnarzt, sie bekommt einen Weisheitszahn gezogen und bleibt dann zu Hause, Sie müssen das Büro besetzt halten. Kaffee bringe ich Ihnen runter.«
Georgs Protest, gar nicht eingearbeitet zu sein, tat die Ludwig, wie Klaus sie nannte, mit einer Handbewegung ab.»Sie als Betriebswirt werden sich bestimmt in einem simplen Büro zurechtfinden. Vertrösten Sie die Anrufer auf morgen, Sie müssen allerdings alles genau notieren – das lernen Sie schnell.«
»Für den Computer gibt’s ein Passwort?«
Frau Ludwig kam mit einem Zettel zurück. »Hier!« Sie legte den Zettel vor Georgs Teller. »Alles notiert.«
»Hat Herr Sauter nichts dagegen?« Georg dachte, dass er womöglich Einblick in die Auseinandersetzungen zwischen ihm und Albers gewönne. Er würde sich diskret im Büro umsehen, es würde helfen, den Hintergrund des Streits zu verstehen.
»Das ist längst mit dem Chef abgesprochen. Aber trinken Sie Ihren Kaffee in Ruhe aus. Die offizielle Bürozeit beginnt erst um neun Uhr.«
Georgs erster Anruf galt Frau Berthold. Er bedankte sich für die Blumen, die Zeichnung und den Wein, der ihm sehr gut geschmeckt habe, was sie schweigend zur Kenntnis nahm. Dann sagte er die gemeinsame Fahrt nach Graach ab, da er im Büro gebraucht werde.
»Es ergibt sich ganz sicher ein andermal Gelegenheit dazu«, sagte sie, als sei es ihr gleichgültig, ob er mitkäme oder nicht, und dieser Ton verhagelte ihm die Laune. Danach hatte er sich mit Weinhändlern herumzuschlagen, die sich mokierten, weil er nicht wusste, ob Weine ausgesuchter Jahrgänge auf Lager seien, Kunden hätten nachgefragt. Er musste dringend den Umgang mit dem Warenwirtschaftssystem lernen.
Das Passwort des Bürocomputers war weder leicht zu merken noch zu raten – es lautete K3cfierb7gob. Georg konnte Sauters PC für seine Nachrichten benutzen, er musste sie nur entsprechend verschlüsseln, und er aktualisierte die Firewall, damit nicht auch hier ein Trojaner eingeschleust wurde. Nicht nur COS besaß die Software dazu.
Aber darum ging es jetzt gerade nicht, es ging darum, festzustellen, wie viele Flaschen von der Zeltinger Sonnenuhr Spätlese aus dem vorletzten Jahr noch vorhanden waren, welchen Preis der Weinhändler für die Auslese des Schlossbergs zu zahlen hatte, wie hoch sein Rabatt war, wie lang sein Zahlungsziel. Angebote und Auftragsbestätigungen wurden erfasst und mit den entsprechenden Daten sofort ausgedruckt, Lieferscheine und Rechnungen geschrieben, die entsprechenden Konten belastet und die Barverkäufe auf den richtigen Konten gebucht. Aber das war nicht seine Aufgabe.
Zuerst nahm Georg nur die Anrufe entgegen, nach zwei Stunden wusste er bereits, dass er nur den Namen eines Kunden in die Maske eingeben musste und sofort über seine Historie informiert war. Und kurz vor dem Mittagessen kannte er auch die Lagerbestände.
Zum Essen trafen sich alle wie gewohnt und sprachen über Menges’ Tod. Frau Ludwig war überzeugt, dass es Mord gewesen war, Bischof blieb bei einem Unfall, weil alles andere seine Vorstellung vom Staat als gutem Vater zerstöre, der für die braven Bürger sorge, wie Klaus provozierend meinte. Er selbst war vorsichtiger geworden, er gab zu, dass es weder für das eine noch das andere Hinweise gebe. Aber er war überzeugt, dass ein Mord sicher vertuscht würde. Er und Frau Ludwig waren als Einzige vom Tod des Helmut Menges wirklich erschüttert.
Georg hielt sich zurück, er kaute wegen seiner Weigerung, die Schläger zu suchen, weiter auf seinem schlechten Gewissen herum. Gemeinsam hörte man die Mittagsnachrichten, die Medien stützten sich auf die Angaben der Polizei, und die befinde sich inmitten nicht abgeschlossener Ermittlungen. Also wurde weiter spekuliert.
Nach der
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