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Tödlicher Steilhang

Tödlicher Steilhang

Titel: Tödlicher Steilhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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der Krieg privatisiert und irgendwelchen »Märkten« überlassen wurde, waren Moody’s, Standard & Poor’s sowie Fitch Ratings mit diesem Krieg beauftragt, das europäische Finanzsystem um Jahre zurückzuwerfen. Sie wussten den Hebel anzusetzen, dort, wo sie die Schwäche des europäischen Systems in den nationalen Unterschieden erkannt hatten. Aber das war gleichzeitig ihre eigene Schwäche. Nur waffentechnisch waren sie allen überlegen. Zuletzt sprachen immer die Waffen.
    Wo würde COS bei ihm den Hebel ansetzen? Auch waffentechnisch? Seine schwächste Stelle waren die Mädchen. Miriam interessierte ihn bereits nicht mehr, höchstens als Gegner. Er hatte in den letzten Tagen mehr an Wein gedacht als an sie, was ihm gutgetan hatte. Er schenkte sich ein weiteres Glas ein, Riesling ist gut gegen die Leere, dachte er, und schaltete den Fernsehapparat aus. Er erhob sich, um das Fenster zu schließen, aber dann blieb er dort stehen und schaute hinaus. Er konnte sich nicht erinnern, wann er zum letzten Mal in Muße aus dem Fenster geblickt hatte. Als die Kinder noch klein waren? Er hatte am Fenster gestanden, Rose im Arm, ihre kleinen Füße auf der Fensterbank, und sie hatte nicht eine Sekunde Angst vor dem Blick in die Tiefe gehabt. Dieses Vertrauen war geblieben, er durfte sie nicht enttäuschen.
    Das Fenster des Wohnzimmers wies in die Richtungen Graach und Bernkastel, das seines winzigen Schlafzimmers nach Zeltinge. Dort unten standen sie , die Wächter von COS, und er wusste auch schon, wie er sie austricksen konnte. Seine besten Leute hatte Baxter nicht geschickt, noch nicht. Er würde sie abziehen und bessere auf ihn ansetzen.
    Ein Pärchen ging eng umschlungen und flüsternd nach Hause; ein Mann, anhand seines Ganges schloss Georg, dass er schon älter war, rief seinen Hund und verriegelte hinter ihm ein Hoftor. Auf der Uferstraße fuhr ein Wagen vorbei, das Licht der Scheinwerfer blitzte in den Querstraßen auf. Aus der Kneipe kam eine Gruppe aufgekratzter Zecher und blieb laut schwatzend auf der Straße stehen. Es mussten Feriengäste sein, denn auch Frauen waren dabei.
    Hier aber, bei den Einheimischen, hielten sich die Geschlechter getrennt. Rechts versuchte jemand, am Berg zur Kirche den Wagen rückwärts in der ansteigenden Straße in eine Parklücke zu bugsieren. Er brauchte fünf Versuche, bis es klappte. Und gegenüber, im Haus mit dem grünen Tor, brannte Licht. Wenn er die Lage der Räume richtig erinnerte, war es das winzige Büro. Saß Susanne Berthold über die Buchhaltung gebeugt, nachdem sie die Jungen zu Bett gebracht hatte?

    Als er am Morgen aufwachte, fiel ihm auf, dass er zum ersten Mal seit Wochen keine Schlaftablette genommen hatte. Er fühlte sich frischer und erleichtert. Ob das an Frau Bertholds Wein gelegen hatte? Vielleicht schaffe ich es doch noch, aus meinem Leben was zu machen, dachte er auf der Bettkante sitzend, den Kopf in die Hände gestützt, dann ging er ins Bad und schaute in den Spiegel.
    Er fühlte sich alt, er bemerkte die unendliche Müdigkeit in seinem Gesicht erst jetzt. Nachdem er sich rasiert hatte, zog er Grimassen, er probierte ein freundliches Gesicht aus, es stand ihm besser. Und ihm gefiel, dass sein Haar wuchs, es war bereits mehr als ein Stoppelschnitt.
    Frau Ludwig hatte wieder Frühstück gemacht, am Freitag hatte er ihr eine Schachtel Pralinen in die Küche gestellt und sich für ihre Sorge bedankt. Diese fremde Frau behandelte ihn liebevoller und mit mehr Respekt als seine eigene.
    »Ich war zufällig hier, als Susanne mit den Blumen kam«,sagte Frau Ludwig mit einem Lächeln. »Ist die Zeichnung nicht allerliebst? Ich finde, dass Sie gut getroffen sind. Kilian hat Talent, er sollte Künstler werden, Zeichner, aber er will unbedingt Winzer werden. Er weiß ja gar nicht, worauf er sich einlässt. Eigentlich müsste er doch wissen, wie hart seine Mutter arbeitet, seit ihr Vater verstorben und der Mann verschwunden ist. Dabei verschwinden hier eigentlich die Kinder, meist nach Beendigung der Schulzeit, sie sagen zwar, sie kämen nach dem Studium zurück, aber letztlich ist ihnen die Arbeit zu hart, und sie verdienen wenig.«
    »Habe ich Sie recht verstanden, er ist verschwunden?« Georg erinnerte sich, was Kilian über seinen Vater gesagt hatte.
    »Verschwunden, ja, so absurd das klingt. Er hat in Bremen Weine vorgestellt, er wollte am nächsten Tag zurück sein, ist aber nie hier angekommen. Er war einfach weg, kurz vor der Lese, so um diese Jahreszeit.

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