Tödlicher Steilhang
ausgeliehen.
»Fahren Sie nach Hause«, sagte er kalt, »je eher, desto besser für Sie. Je länger Sie und Ihr Söldner-Kollege mir auf den Wecker gehen, desto härter werden die Konsequenzen.«
»Wollen Sie mir drohen?«, fragte der Mann von oben herab, ein vierschrötiger Typ mit gnadenlosen grauen Augen, er blies sich auf. Statt ihn nur ins Fitnesscenter zum Training zu schicken, hätte ihn sein Arbeitgeber ruhig den Hauptschulabschluss machen lassen sollen, dachte Georg. Möglich, dass der Fahrer intelligenter war. Der musste zumindest lesen können, da er den Führerschein hatte. Aus der Nähe betrachtet war sein Gegenüber höchstens die zweite Wahl vom B-Team.
Georg musterte den Mann ungeniert. Bei diesen Typen musste man schnell sein und mit jeder Art von Gemeinheit rechnen – hingegen war jede Art von menschlichem Mitgefühl ausgeschlossen. Bei diesen Gegnern wäre der Winzer Menges jetzt immer noch im Krankenhaus, oder er wäre einen Monat vorher von der Klippe gestürzt, gestoßen oder durch eigene Unachtsamkeit gefallen.
»Ja, ich will Ihnen drohen«, sagte Georg nach langer Pause, »Ihnen und Ihrem Fahrer.«
Er griff blitzschnell nach dem linken Handgelenk des Mannes, sie hatten den Griff hundertmal geübt, er drehte es mit aller Kraft nach innen, dadurch bog der Mann sich zurück, und in dieser Sekunde trat ihm Georg den linken Fußunter dem Körper weg. Sein Gegner knallte aufs Straßenpflaster und stieß verdutzt einen Schrei aus.
Georg machte einen Schritt zurück. »Sehen Sie«, sagte er ganz ruhig, »so geht das.«
Der Mann am Boden schnappte mühsam nach Luft. Er röchelte. »Das werden Sie bereuen.«
»Zeugen gibt es nicht«, sagte Georg mit einer ihm selbst fremden Stimme und sah sich um, zu seinem Glück war niemand auf der Straße, nicht ein Gesicht zeigte sich in den Fenstern. »Gruß an Ihren Kollegen. Erzählen Sie ihm bitte ganz genau, wenn Sie es erzählen wollen, was hier vorgefallen ist. Ich habe die Firma, die Sie auf mich angesetzt hat, mit aufgebaut und etliche Jahre geleitet. Da hätte ich Stümper wie Sie nicht brauchen können. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag, schöner als den, den Sie bisher erleben durften. Schreiben Sie irgendwas in Ihren Bericht, den prüft sowieso niemand, und genießen Sie die Mosel, falls Sie schwimmen können.«
Jetzt ging es ihm besser. Georg atmete auf, er fühlte sich erleichtert und fragte sich, ob er sich für den Angriff schämen müsse. Schließlich machte der arme Kerl nur seinen Job. Nein, er schämte sich nicht, er hatte den Krieg nicht angefangen. Und diejenigen, die ihn ausriefen, waren nie dieselben, die ihn führten. Andere hielten den Kopf und sonstige Gliedmaßen hin. Er ging zum Wasser hinunter. Es war klar, die nächste Feindberührung würde härter werden.
Dann kehrte er ins Büro zurück. Die Beobachter waren verschwunden. Freiwillig oder auf Befehl? Sie taten nichts selbstständig, sie durften es gar nicht, die Hierarchie war vorgegeben, selbstständige Entscheidungen führten zu Komplikationen, weil der einzelne Mitarbeiter die Lage nicht überschauen konnte, weder bei einem Rockkonzert noch an »Fronten« wie dieser.
In Bezug auf den Wein blieb Georg auch nichts anderes übrig, als nach Vorgaben zu arbeiten. Zumindest wurde ihmdas Vokabular des Weinbaus geläufiger, aber hinter den Worten standen zu wenige Bilder, nur einige Handgriffe oder verständliche Prozesse, lediglich die Erfahrung einer extrem intensiv gelebten Woche. Mehrmals hatte er den Begriff »Sponti« für einen Wein gehört, nur was es bedeutete, entzog sich seinem Wissen; es hatte irgendetwas mit der Gärung zu tun. Zucker- und Säurewerte waren zumindest als Wort verständlich. Nur was sie im Wein bewirkten oder wie sie sich zueinander verhielten, stand in dem Buch mit sieben Siegeln. Er würde warten, bis die entsprechende Arbeit anstand.
Georg hatte das Gefühl, in ein Gebäude eingetreten zu sein, das innen mit unverständlichen Texten tapeziert war, und wenn er sie verstanden hatte, öffnete sich die nächste Tür zu weit verzweigten Gängen mit immer neuen Räumen und neuen Texten.
Steillage war auch ein weit gefasster Begriff. Georg war zwar darin herumgelaufen, hatte darin gearbeitet, viele wurden im »Direktzug« bearbeitet, wie Klaus ihm erklärt hatte. Sie waren breit genug, um sie mit Maschinen bearbeiten zu können. Steillagen waren Rebflächen mit einer Hangneigung von mehr als dreißig Prozent, wie er in einem Formular gelesen
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