Toedlicher Sumpf
Begleitrhythmus verblasst ist.
Hubschrauber kreisen über mir und fliegen weiter zu den Bohrinseln. Am Horizont zeichnen sich Fischerboote ab, aber am Strand ist, so weit das Auge reicht, niemand. Schließlich mache ich halt und breite mein neues Badetuch auf dem Boden aus.
Ich liege auf dem Bauch, stütze das Kinn in die Hände und starre hinaus auf das dunkelblaue Wasser. Möwen machen Jagd aufeinander. Zu hören ist nur, wie die sanften Wellen brechen, dazu das Kreischen der kleinen, schwarz-weißen Seeschwalben mit dem runden Rücken, die kreuz und quer über den Strand hüpfen.
Und jetzt endlich, da alles friedlich ist, da ich allein bin und nichts und niemand mich beansprucht oder ablenkt, kommt die Verzweiflung. Ich kann nicht mehr.
Bailey hat mich komplett zusammengefaltet, und so sauer ich darüber auch bin, bis zu einem gewissen Grad verstehe ich ihn. Er hat eine Aufgabe; er muss seine Zeitung herausbringen. Daran glaubt er, das ist seine Überzeugung. Von mir verlangt er nichts weiter, als dass ich meine Arbeit tue.
Warum schaffe ich das nicht? Ich senke den Kopf, schließe die Augen und lege das Gesicht in die Hände. Es wird schwarz um mich her. Was stimmt mit mir nicht? Warum kriege ich nichts geregelt? Warum tue ich nicht einfach, was von mir erwartet wird; warum will ich nicht das, was ich wollen sollte? Ich sehe das besorgte Lächeln vor mir, mit dem meine Mutter mich immer wieder fragt, ob ich jemanden kennengelernt habe. Wie ich mich unter Tribünen von Fremden vögeln lasse. Wie sich alles dreht, wenn ich nachts auf der Piste bin und zu viel getrunken habe; mein Zimmer dreht sich, selbst die arme Kloschüssel dreht sich, wenn ich wieder einmal Essen und Schnaps eines ganzen Abends herauskotze. Selbst Uri, dermehr oder weniger ein Heiliger ist, findet, dass ich professionelle Hilfe brauche.
Warum kann ich nicht den Mund halten und mich anpassen? Warum kann ich New Orleans nicht einfach toll finden wie alle anderen, mich mit Gumbo vollstopfen, einen netten Mann kennenlernen, dumme kleine Unterhaltungsstorys schreiben und glücklich sein? Lieber Gott, ich habe doch Glück! Weder lebe ich in Haiti und muss Dreck essen, noch bin ich aus Tibet geflohen oder im Irak zu Hause, wo ich jederzeit ermordet werden könnte. Ich habe es aus den Desire Projects rausgeschafft, und mir ist oft gesagt worden, ich sei klug, ich hätte Talent. Warum kriege ich also diesen Job nicht hin?
Jetzt tropfen auch noch blöde Tränen auf das Badetuch: Ich tue mir selbst leid! Schnell stehe ich auf, gehe zum Wasser, wische mir unterwegs die Augen trocken. Lass es gut sein, Nola.
Am Anfang finde ich das Wasser kalt. Bis zu den Knöcheln stehe ich drin. Doch nach einer Weile scheint es sich zu erwärmen. Gut fühlt es sich an, seidig, einladend, und der nasse Sand unter meinen Füßen ist wie eine Lage Samt. Schritt für Schritt gehe ich in die Wellen hinein.
Der kleine Kälteschock bei jedem Zentimeter, den ich tiefer eintauche, lenkt mich von der Angst ab. Immer weiter hinaus wate ich: Knie, Hüften, Taille. Als die Brüste ins Wasser sinken, wird das T-Shirt unangenehm von den Wellen mitgezogen, und plötzlich fällt mir ein, wie die Tulane-Professorin einmal mit uns in die Theaterabteilung gegangen ist, in den Kostümfundus. Dort probierten wir nacheinander die gesamte Ausstattung einer viktorianischen Matrone an: das Korsett, die Krinoline, den Petticoat, das lange Gewand. Sie wollte, dass wir verstanden, wie Edna P. sich gefühlt hatte – dass wir es mit dem Körper verstanden, nicht nur intellektuell.
»Und jetzt gehen Sie«, befahl sie, und es war schrecklich. Ich hatte das Gefühl, mindestens zehn Kilo zusätzliches Gewicht mit mir herumzuschleppen, lauter schweres, sperriges Zeug. Es war, als sei ich in einer Maschine gefangen. »Stellen Sie sichvor, Sie gehen ins Wasser«, fuhr die Professorin fort, »in der vollen Montur.« Das tat ich. »Und nun ziehen Sie die Sachen aus«, ordnete sie an. Auch das taten wir; wir entblätterten uns Stück für Stück, wie Edna P. es getan hatte, während sie immer tiefer ins Wasser ging und immer weiter hinausschwamm. Alle Wünsche und alle Wirrnisse ihres Lebens ging sie dabei noch einmal durch und ließ sie der Reihe nach fahren, bis sie ganz und gar nackt war, ganz und gar frei, und schwimmen konnte, weg vom Ufer und allem, was sie gefesselt hatte.
»Manchmal«, sagte unsere Lehrerin, »ist auch der Tod eine Art von Freiheit.«
Ich ziehe das T-Shirt aus und behalte es
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