Toedlicher Sumpf
zusammengeknüllt in der Hand. Die Wellen heben mich sanft an. So fühle ich mich leichter, freier, beweglicher. Ich öffne die Hand und lasse das T-Shirt forttreiben. Als Nächstes schlüpfe ich aus den Shorts. Sie haben mir sowieso nicht gefallen.
Plötzlich wird mir bewusst, dass hier weit und breit kein Mensch ist. Niemand sieht mich. Also ziehe ich mich komplett aus, renne ein paar Schritte gegen die Wellen an, bis ich keinen Grund mehr habe, und fange an zu kraulen, weg von Baileys Zorn und meiner enttäuschten Mutter und all den namenlosen Männern. Meine Arme machen kräftige Züge.
Als ich die in Ufernähe über dem Wasser kreisenden Möwen hinter mir gelassen habe, halte ich einen Augenblick inne, trete Wasser, verschnaufe. Das Ufer ist nur noch ein weit entfernter, dünner brauner Strich, und die Nachmittagssonne brennt gnadenlos. Ich stecke bis zum Hals im Wasser und höre brechende Wellen und Möwengeschrei nur noch schwach aus der Ferne. Ein Pelikan segelt vorbei, nur knapp über der Wasseroberfläche, und im Flug erweist sich sein urzeitlicher Körperbau, der ihn an Land so schwerfällig erscheinen lässt, als vorteilhaft; er wirkt geradezu graziös. Alles ist schön, friedvoll, kühl.
Ich könnte ewig so hier bleiben: schwerelos und frei, unbedeutend, nichts als ein winziger Punkt inmitten einer riesigen Wasserfläche. Ich könnte auch einfach verschwinden. Hierdraußen in den Wellen ausharren, bis es Nacht wird, bis Durst und Erschöpfung kommen; dann könnte ich nachgeben und zulassen, dass das Wasser mich schluckt.
Fünf, sechs Meter weiter durchbricht etwas die Wasseroberfläche. Groß, grau, dreieckig. Eine Flosse.
Gütiger Gott.
Es taucht wieder unter. Oh, Mutter Gottes, steh mir bei. Heilige Scheiße.
Ich versuche mich zu erinnern, was jetzt zu tun ist. So schnell wie möglich zum Ufer zurückschwimmen oder stillhalten und mich treiben lassen, damit ich nicht durch Beinbewegungen Aufmerksamkeit errege? Mir fällt nichts ein. Wenigstens habe ich nicht meine Periode – kein Blutgeruch. Ich kriege kaum Luft. Oh Gott. Was mache ich bloß? Panisch schaue ich mich um. Weit und breit niemand zu sehen, niemand. Auf dem Strand niemand. Kein Boot in der Nähe. Gütiger Gott.
Da taucht die Flosse wieder auf. Etwas näher jetzt. Verdammte heilige Scheiße.
Und dann ist da plötzlich eine zweite Flosse, und ich erkenne zwei graue Gestalten im Wasser.
Das sind Delfine. Haie sind immer allein unterwegs.
Ein Schauer der Erleichterung überläuft mich von Kopf bis Fuß, und nachdem ich einmal heftig nach Luft geschnappt habe, kann ich wieder normal atmen.
Plötzlich wünsche ich mir nichts mehr, als wieder an Land zu kommen, festen Boden unter den Füßen zu haben, also kehre ich um, schwimme aufs Ufer zu und bin dank der Adrenalinausschüttung zunächst ziemlich schnell. Doch die Unterströmungen des Golfs sind tatsächlich kräftig; sie zerren gewaltig an mir. Der schmale Uferstreifen will einfach nicht größer werden, und als ich spüre, wie meine Arme allmählich erlahmen, werde ich nervös. Trotzdem strampele und kraule ich immer weiter. Im Stillen spreche ich das Ave Maria, versuche, mich zu beruhigen, und danke mir selbst dafür, dass ich so regelmäßig laufe.
Endlich berührt mein rechter Fuß den sandigen Grund. Ich schleppe mich weiter und breche, am ganzen Körper schlotternd, vor Erleichterung in Tränen aus. Als das Wasser mir nur noch bis zu den Knien reicht, drehe ich mich um, lasse mich fallen und blicke hinaus zum Horizont.
Zu meiner Überraschung treiben die beiden Delfine sich jetzt im Flachen herum, spielen und wirbeln mit ihren silbrigen Schwanzflossen das Wasser auf. Sie sind nicht weiter von mir entfernt als vorhin. Fast könnte man meinen, sie seien mir gefolgt, so als sei es ihnen wichtig, mich in Sicherheit zu wissen.
Vielleicht – vielleicht – ist die Welt doch nicht so grausam, wie ich immer meine. Vielleicht muss ich gar nicht so tough sein, nicht ständig auf der Hut. Vielleicht gehört nicht jede Flosse zu einem Hai.
So bleibe ich lange sitzen, schaukele sanft in den warmen Wellen und bin weich und leer. Wie Wasser in Wasser.
Und dann muss ich gleichzeitig weinen und lachen, und mein Herz fühlt sich seltsam an, übervoll.
18
Als ich am Mittwochmorgen aufstehe – immer noch klebrig von Golf-Salz und immer noch unter dem Schock von Baileys Drohung –, beschließe ich, zuallererst Professor Guillory anzurufen.
Professor Guillory hat schon am
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