Toedlicher Sumpf
und seine Libido vielleicht immer neu herausfordern, was ihre Chance, ihn lange an sich zu binden, deutlich erhöhen würde. Aber wenn ich ehrlich sein soll: Mit dem Herzen ist sie, glaube ich, nicht dabei. Ich vermute, sie würde lieber jemanden kennenlernen, der eher so ist wie sie selbst.
Zum Teil rührt Fabis gepflegte Empörung wohl daher, dass ihr Vater Investmentbanker ist und sie ihre ganze Kindheit hindurch zu hören bekommen hat, die Bilanz sei das Maß aller Dinge. Zugleich ist sie mit Geschichten über Jesus und die Heiligen groß geworden. Die daraus erwachsenden Widersprüche haben es ihr nicht gestattet, den Weg zu beschreiten, den ihre Eltern ihr so schön geebnet hatten. Es versteht sich von selbst, dass ihr 401K-Rentensparplan zu hundert Prozent in sozial und politisch korrekte Fonds investiert ist und dass sie in den Ferien ehrenamtlich bei Brad Pitts »Make It Right«-Stiftung nachhaltige Häuser für Leute baut, die durch die Flut alles verloren haben. Ihren missionarischen Eifer stählt sie täglich an der Cabrini High School, wo sie Weltreligionen und postkoloniale Literatur unterrichtet.
So haben wir einander überhaupt erst kennengelernt. Die Cabrini High School, nicht weit von der Esplanade Avenue und den ehrwürdigen Grabmälern des St. Louis Cemetery, istauch nur ein paar Blocks von meiner Wohnung in Mid City entfernt. Fabi wohnt zwar Uptown, aber es ist bequemer für sie, nach der Arbeit auf dem Markt einzukaufen, auf dem ich auch kaufe, und sie holt sich gern im »Fair Grinds« einen Kaffee. So war es unausweichlich, dass wir einander früher oder später begegneten. Eines Tages kamen wir in einer Schlange auf dem Markt ins Gespräch, und es stellte sich heraus, dass sie zu der Zeit, als ich an der Tulane studiert hatte, gleich nebenan an der Loyola-Universität gewesen war.
»Hör mal«, sagte sie und packte mich – mit der Abruptheit eines reservierten Menschen, der plötzlich aus sich herausgeht – am Arm. »Hättest du Lust, dass wir mal zusammen einen Kaffee trinken?« Klar, sagte ich, und sie schlug vor, dass ich sie am nächsten Tag um drei an der Cabrini High abholte.
Ich war ein paar Minuten zu früh da und sah mir das Gebäude gründlich an: ein reich verzierter, dreistöckiger Bau mit einem gewaltigen Marmor-Eingangsbereich. Obwohl neben dem weißen Steinkreuz hoch oben große Dornen angebracht waren, nisteten dort Tauben, richteten sich häuslich ein an einem Ort, an dem sie nicht erwünscht waren. Auf einer Tafel an der Hauswand steht, dass die Cabrini High 1957 gegründet worden ist, schaut man aber ganz nach oben, wo eine Christusstatue die Arme ausbreitet, sieht man, dass in den weißen Stein SACRED HEART OR PHAN ASYLUM gemeißelt ist, Herz-Jesu-Waisenhaus; das Gebäude selbst ist also deutlich älter. Ich blieb auf der Marmortreppe stehen und lehnte mich an den metallenen Handlauf, dessen schwarzer Lack von tausend Händen abgetragen ist. Eichen breiten ihre langen Äste würdevoll bis zum Boden aus; aus ihrer Rinde sprießen reihenweise saftig-grüne kleine Farne. In einer Grotte aus dunklem Naturstein steht eine weiße Maria, die Hände zusammengepresst, das Gesicht mit den blinden Augen gen Himmel gewandt.
Es klingelte, und kurz darauf stand Fabi neben mir, beladen mit einer schweren Kuriertasche.
»Das musst du dir anschauen«, sagte sie. Schüler drängten sich an uns vorbei. »Es ist völlig verrückt.« Und dann kam, genau zu der Zeit, als die vielen Highschool-Mädchen mit ihren Rucksäcken und Bücherbündeln lachend und albernd die Treppe hinuntergingen, der bestaussehende Mann des Universums vorbei. Auf dem Fahrrad. Mit nacktem Oberkörper.
Einen kurzen Moment lang herrschte Stille unter den Mädchen, dann bog er um die Ecke und war weg.
»Jeden Tag«, flüsterte Fabi. »Jeden Tag fährt er genau zur selben Zeit so hier vorbei.«
»Eine Erscheinung«, sagte ich hingerissen. Schwarzes Haar, dunkle Augen, volle, pflaumenblaue Lippen und bronzefarbene Haut, die sich wie Satin über Boxerschultern und einen flachen Bauch spannte. Ich hätte mich gern auf seinen Lenker geschwungen und von ihm mitnehmen lassen.
»Er sieht ja vielleicht toll aus«, sagte Fabi, »aber irgendwas stimmt doch nicht mit ihm. Was läuft bei dem Kerl schief?«
»Nichts«, murmelte ich, »absolut nichts.«
Sie runzelte die Stirn und stieß mich an. »Das ist ein erwachsener Mann. Welcher Erwachsene braucht es, sich vor Highschool-Mädchen so zu präsentieren?«
Ich grinste,
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