Toedlicher Sumpf
Wunsch, in ein Kloster einzutreten.
Ihre Eltern wissen sich keinen Rat. Ich war schon zu Besuch in dem großen, weißen, im Plantagenstil gehaltenen Haus in Old Mandeville, drüben am anderen Ufer des Lake Pontchartrain. Ich habe dort ein Wochenende mit Fabi verbracht und die hübschen muschelförmigen Seifen benutzt, die nicht als Dekoration gedacht waren. Ich bin über die riesigen Rasenflächen des parkähnlichen Anwesens direkt am Seeufer spaziert, vorbei an alten Eichen und dem Gartenpavillon, und habe versucht, mir vorzustellen, wie es gewesen sein muss, in solchem Frieden und Wohlstand aufzuwachsen. Ich habe auf der großzügigen Veranda gesessen, Arnold Palmers Golfergetränk geschlürft – eine Mischung aus Eistee und Limonade – und zum blauen Horizont geschaut. Die Causeway-Brücke ist keine vierzig Kilometer lang, aber dort drüben siehst du von New Orleans nichts. Dort kannst du die Hektik, das Gedränge, das Chaos, die Mordrate, den Schweiß, der dir über den Rücken rinnt, den Gestank von ausgekipptem Schnaps und verrottendem Müll vollständig vergessen. Fabis Eltern verstehen nicht, warum sie in dieser stickigen und chronisch überfüllten Stadt leben möchte – von nicht mehr und nicht weniger als einem Lehrergehalt –, und vor allem hoffen sie, dass Fabi endlich aufhört, vom Friedenscorps und möglichen Auslandseinsätzen zu reden.
Fabis Mutter ist eine große, schöne, ruhige Frau, die golft und ansonsten darauf wartet, dass Fabi heiratet. Sie fragt sich, was sie falsch gemacht hat. Die Kruzifixe überall und die Zeitan der katholischen Schule waren eigentlich dazu gedacht, Fabi – wie ihre Brüder auch – auf Ehe, Kinder, Reisen und Country-Club-Leben vorzubereiten. Bei Mrs. Torres’ Katholizismus geht es nur um den roten Samt und die goldenen Ornamente päpstlicher Pracht – nicht etwa um eine Theologie der Befreiung oder den Verzicht auf weltliche Güter. Sie weiß nichts anzufangen mit Fabis E-Mails, die alle mit einem Ausschnitt aus Matthäus 19.21 enden, wo es heißt, man solle verkaufen, was man hat, und den Erlös den Armen geben – und damit, dass sie stets den brasilianischen Erzbischof Hélder Câmara zitiert: »Wenn du den Armen Essen gibst, nennen sie dich einen Heiligen. Wenn du fragst, warum die Armen nichts zu essen haben, nennen sie dich einen Kommunisten.« Fabi sagt, ihre Mutter hoffe, das sei nur eine Phase. Sie warte sehnlichst auf den Tag, an dem Fabi ihre Verlobung bekanntgebe.
Was bald der Fall sein könnte. Carlo hat sie schon einmal gefragt, und ich habe den Ring gesehen. Ein fetter Drei-Karat-Klunker, der ein stärker materiell orientiertes Mädchen schon in Versuchung führen könnte. Und Carlo selbst ist auch nicht übel.
Vor sechs Jahren ist er als italienischer Wertpapierhändler nach New Orleans gekommen, weil er geschäftlich hier zu tun hatte. Er hat sich in die Stadt verliebt und ist geblieben. Damit er das Gefühl haben kann, produktiv zu sein, hat er im Quarter ein Restaurant eröffnet – einen von diesen kleinen, superschicken Läden, in denen man einfach nie einen Tisch kriegt. Das »Carlo’s« befindet sich im Obergeschoss eines alten Hauses im spanischen Stil. Unten verweist nur ein diskretes kleines Schild auf das Lokal, in dem es frische italienische Bio-Pasta mit Seafood gibt, für die man glatt auf Sex verzichten würde.
Als Katrina über uns kam, ist er nicht nach Rom abgehauen. Vielmehr hat er sich – wie viele, die das nötige Geld dafür hatten – nur noch tiefer hineingekniet. Er betrachtete es als Chance, in die beiden Häuser links und rechts von seinem Restaurant investieren zu können. Dort befinden sich jetzt zu ebenerErde Schickimicki-Boutiquen, und oben wohnen reiche Mieter. Für Carlo läuft’s also gut. Er zahlt zwar horrende Versicherungsprämien, aber wer tut das heutzutage nicht?
Carlos Wohlstand, sein Erfolg, sein weltmännischer Glanz und sein gutes Aussehen sind einer Idealistin wie Fabi freilich nicht genug. Da er nicht vorhat, Häuser für Jesus zu bauen, fühlt sie sich irgendwie als Geschädigte – was sich für die Langlebigkeit ihrer Ehe eher günstig auswirken könnte. Wenn sie ihn denn jemals erhört. Männliche italienische Alphatiere halten, soviel ich gehört habe, bei einer allzu dankbaren, bescheidenen Frau nicht lange still. Wenn Fabi ihn aber so behandelt, als könne er gerade noch als Ersatz für das durchgehen, was sie viel lieber hätte – nämlich einen Heiligen –, kann sie seinen Stolz
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