Toedliches Geheimnis
herausgekommen ist«, sage ich und unterbreche ihre Kabbelei.
»Machst du Witze?«, kräht Wes. »Das hier ist eine kleine Stadt voller Kleingeister. Wenn sich hier einer falsch kratzt, vermuten die Leute gleich, dass er ohne Ende Filzläuse hat.«
»Gibt es da etwas, das du uns sagen möchtest?«, fragt Kimmie.
Wes kratzt sich demonstrativ mit dem Mittelfinger an der Nase.
»Gut, wenn unsere Stadt angeblich so klein ist«, frage ich, »wie kommt es dann, dass mir noch keiner gesagt hat, dass Matt was mit Rena Maruso hat?«
»Was?« Kimmie bleibt der Mund offen stehen.
»Anscheinend die Wahrheit. Ich hab vorhin mit ihm gesprochen.«
»Ist nicht wahr«, protestiert Kimmie. »Rena ist bei mir in Spanisch. Das Mädchen erzählt mir alles.«
»Vielleicht erzählt sie dir nur ganz bestimmte Sachen«, meint Wes.
»Oder vielleicht versucht Matt, dich eifersüchtig zu machen«, sagt Kimmie. »Das ist ein uralter Trick.«
»Nun ja, egal«, sage ich und komme auf mein Thema zurück. »Ich hab mich ein bisschen nach ihm umgehört.«
»Nach Matt?« Kimmie horcht auf.
»Nein, nach Ben.«
»Okay, also nimm’s mir nicht übel«, sagt sie, »aber hat dieses Interesse für Ben irgendetwas damit zu tun, dass du dein Seniorenleben aufgegeben hast?«
»Seniorenleben?««
»Ja, du weißt schon: sicher, routinemäßig, alles sorgfältig geplant, mag keine Überraschungen, ist gerne vor der Dunkelheit zu Hause...«
»Du musst schon zugeben, dass du ein bisschen altjüngferlich daherkommst«, fügt Matt hinzu.
»Natürlich lieben wir das an dir«, betont Kimmie.
»Stimmt«, sagt Wes. »Ich meine, wer mag seine Oma nicht? Und es könnte auch deine plötzliche Fixierung auf unseren Killer Boy erklären.«
»Moment mal«, sagt Kimmie. »Wenn Ben wirklich gefährlich wäre und wirklich seine Freundin umgebracht hätte, glaubst du wirklich, man würde ihm erlauben, wieder zur Schule zu gehen?«
»Du glaubst also nicht, dass er es getan hat?«, frage ich.
»Was ich glaube, ist, dass du langsam ein bisschen besessen zu sein scheinst.«
»Na ja, es ist ja auch schwer, das nicht zu sein. Bens Name ist überall - fast jedes Gespräch dreht sich um ihn.««
»Die schlimmsten Alpträume fast aller Mädchen drehen sich um ihn«, sagt Wes und gibt seiner Stimme einen total unheimlichen, supertiefen Klang. Er benutzt seinen Bleistift als Messerersatz und sticht damit in die Luft.
»Nun ja, gefährlich hin oder her«, sagt Kimmie und steckt sich einen Kaugummi in den Mund. »Der Junge ist heiß - ziemlich heiß sogar für einen angeblichen Mörder.«
»Woher kommt es, dass alle Guten immer Mörder sein müssen?«, seufzt Wes übertrieben auf.
»Du bist so ein Hirni«, sage ich und werfe ihm einen Chips an den Kopf. Der bleibt in seinen gelgetränkten Haaren stecken, aber Matt holt ihn raus und isst ihn trotzdem auf.
»Und, was hast du über ihn herausgefunden, Miss Detective?«, fragt Kimmie mich.
»Nichts Verlässliches.« Ich zucke die Schultern. »Die Storys werden von Minute zu Minute lächerlicher.«
Wes nickt. »Das Letzte, was ich gehört habe, ist, dass der Typ angeblich seine ganze Familie verhackstückt und dann zum Frühstück gegessen haben soll.«
»Das ist doch krank«, sagt Kimmie.
»Aber lecker.« Er klaut sich eine Handvoll von meinen Chips.
»Von wegen krank«, sage ich. »Was war das für eine Nummer mit dem Foto, das du mir in den Briefkasten geworfen hast?«
»Foto?«
Ich nicke. »Das von mir... vor der Schule... mit einem Herz drum rum.«
Er legt den Kopf schief, sichtbar verwirrt. » Qué? «
»Sei kein Blödmann« sagt Kimmie. »Gib’s zu. Das warst du. Genau wie damals die Sache mit dem Teletubby.«
»Ehrlich«, sagt er, »mal abgesehen von Blödmann und Teletubby hab ich absolut keinen blassen Schimmer, wovon ihr redet.«
»Moment mal«, sage ich. »Du hast also kein Foto von mir in unseren Briefkasten geworfen?«
Wes schüttelt den Kopf.
»Hast du nicht dieses Jahr Fotografie belegt?«, frage ich.
»So what? Was beweist das? Dass ich plötzlich von irgendwelchen Leuten Fotos mache und sie ihnen in den Briefkasten werfe?«
»Ich würde mir keine Gedanken darüber machen.« Kimmie spuckt ihren Kaugummi in die Hand. »Es ist wahrscheinlich nur irgendwas, das so ein Loser für witzig hält.« Dabei schaut sie Wes böse an.
»Hey, schau diesen Loser hier nicht so an«, sagt er und zeigt auf die Vorderseite seines T-Shirts, wo die Worte Im Zweifel für den Angeklagten quer über die Brust
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