Tödliches Labyrinth
fast keine Zeit für mich. Ich habe nicht genug Zeit, um mich mit irgendjemandem anzufreunden oder irgendetwas zu unternehmen, was auch nur entfernt nach Spaß klingen könnte. Ich …” Als Leah den Gesichtsausdruck ihrer Mutter bemerkte, verstummte sie abrupt und biss sich zerknirscht auf die Lippe. Deutlich zurückhaltender fuhr sie fort: “Es tut mir Leid, Mom. Ich wollte dir nicht wehtun. Wirklich nicht. Es ist nur so … na ja, ich bin es irgendwie leid, immer nur zu arbeiten und keine Freunde zu haben. Ich bin es leid … anders zu sein, das ist alles.”
Unwillkürlich wurden Faith Tallclouds Züge bei diesen Worten sanfter. Sie wusste besser als jeder andere, dass es kein leichtes Leben war für die Tochter, die sie als ihre eigene ausgegeben hatten und die auf weit mehr Anrecht hatte als das, was sie ihr über die Jahre hinweg hatten geben können. Doch seit dem verheerenden Unfall mit Marlowes Mercedes vor sechzehn Jahren hatten Jim und Faith ein Leben in Angst geführt.
Jim war davon überzeugt, dass es trotz all seiner Vorsichtsmaßnahmen jenem unbekannten Konsortium, das die Kontrolle über Marlowe Micronics, Incorporated, hatte, gelungen sein musste, den Wagen zu sabotieren. Es musste eine Sprengladung am Wagen gewesen sein, die ursächlich war für den Unfall, bei dem Roland und Natalie Marlowe sowie Leah, seine leibliche Tochter, umgekommen waren. In jener Nacht hatten sie gewusst, dass sie nichts weiter für ihre getöteten Arbeitgeber tun konnten, also hatten sie die Unfallstelle so hergerichtet, als sei Roland der Fahrer gewesen und als habe Natalie neben ihm gesessen, ihre neugeborene Tochter Angelina in den Armen.
Nur war es nicht der Leichnam von Angelina gewesen, den Jim und Faith in dem Wrack zurückgelassen hatten, sondern ihr eigen Fleisch und Blut, ihre Tochter Leah. Angelina hatte wie durch ein Wunder überlebt. Als sie sich mit ihr vom Unglücksort entfernten, da waren sie davon überzeugt gewesen, dass niemand auf die Idee kommen würde, das Baby im Fahrzeugwrack könnte nicht Angelina Marlowe sein.
So war es dann auch tatsächlich gekommen.
Als die Tallclouds sich ein Stück von der Unglücksstelle entfernt hatten, explodierte der Wagen, die Insassen waren bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Damit wurden auch alle Beweise zerstört, und die Polizei ging daher davon aus, Roland habe in dem Unwetter die Kontrolle über den Wagen verloren und Benzin habe sich entzündet, als der Wagen mit dem einsamen Baum kollidiert war.
Jim und Faith waren in ihr Apartment zurückgekehrt, das sich im Haus der Marlowes über der Garage befand. Jim war davon überzeugt gewesen, dass auf diese Weise das Risiko am geringsten war, in irgendeiner Sache verdächtigt zu werden, mehr zu wissen, als sie sagten. Als die Polizei und hochrangige Angestellte von MMI kamen, um sie zu befragen, waren sie immer bei der verabredeten Darstellung geblieben: Sie wussten nur, dass Roland Jim an dem Abend gebeten hatte, den Mercedes vorzufahren, und er dann Jim zurück ins Apartment geschickt hatte, da er den Wagen selber fahren wollte.
Nach der Beisetzung hatten Jim und Faith gekündigt und waren weggezogen. Es sah alles danach aus, dass man ihnen ihre Geschichte abgekauft hatte. Die Polizei war jedenfalls nie mit irgendwelchen Zweifeln an sie herangetreten, und der Anschlag wurde als ein tragischer Unfall angesehen.
Doch bestand nach wie vor die Gefahr, dass die Verschwörer bei MMI von stärkerem Misstrauen geprägt waren und gründlichere Untersuchungen angestellt hatten als die Polizei und die sensationslüsterne Klatschpresse. Aus diesem Grund lebten die Tallclouds seitdem sehr zurückgezogen, ja fast schon im Verborgenen, um nicht unnötig auf sich aufmerksam zu machen.
Immerhin hatten sich noch immer keine Beweise finden lassen, die den Verdacht von Jim und Roland untermauern konnten, dass Merritt Marlowe entweder tot oder aus einem anderen Grund handlungsunfähig war und sein Konzern von einer Gruppe skrupelloser, machtgieriger Männer geführt wurde.
Dieser Verdacht allein half nicht weiter.
Nicht einmal der Tod von Roland und seiner Frau konnte als Beweis angeführt werden, da alles nach einem Unfall ausgesehen hatte. Wenn schon Roland selbst befürchten musste, man würde ihm nicht glauben, wer sollte dann einfache Bedienstete ernst nehmen?
Jim hatte Faith klar gemacht, dass sie nicht das Risiko eingehen konnten, die Wahrheit über das zu erzählen, was sich in jener entsetzlichen Nacht zugetragen
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