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Tödliches Orakel

Tödliches Orakel

Titel: Tödliches Orakel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tina Sabalat
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jetzt wundervoll morgenfeuchte Wiese zum Pool.
    Als ich mein Handtuch auf der Liege ablegte, war es schon fast ganz hell, und als ich unter der Dusche hervorkam, bemerkte ich den Körper in meinem Pool. Er schwamm nicht, er lag. Auf dem Grund. Dort, wo es am tiefsten war. Ich ging näher an den Rand heran. So nah, dass ich durch die unbewegte Wasseroberfläche auf das ebenso unbewegte Gesicht sehen konnte, aber nicht so nah, dass das jetzt definitiv verseuchte Wasser meine bloßen Füße berühren konnte. Ich starrte auf den Mann, der Mann starrte mit offenen Augen zurück. Sein Mund war leicht geöffnet, als wolle er etwas sagen, er hatte blonde, kurze Haare, war kräftig gebaut. Nicht sehr groß, einssiebzig höchstens. Sein Gesicht war seltsam verzerrt, aber nicht nur vom Wasser: Es sah geschwollen aus, an den Augen und am Mund vor allem. Die Haut war dort aufgeplatzt, verquollen und verfärbt. Violett, weißlich. Zerkocht rosig bis gräulich. Widerlich. Er hatte eine dunkle Hose an, schwarze Schuhe sowie ein weißes T-Shirt. Und er war mausetot.
    Ich stand recht lang da am Rand, denn es war das erste Mal, seitdem ich bin, was ich bin, dass ich einem Menschen ohne Hilfsmittel wie Kameras und Bildschirme direkt ins Gesicht sehen konnte. Ohne sofort in ihn hineingezogen zu werden wie in einen Mahlstrom aus feuchtem Ekel. Ich fand diese Erfahrung interessant, denn sie erinnerte mich an mein altes Leben, das Leben vor dem Sehen.
    Nach ein paar Minuten stiller Nostalgie ging ich zurück ins Haus und wählte.
    »Ja«, meldete Sam sich verschlafen, ich wartete und schwieg.
    »Hallo? Wer ist da?«
    »Erkennen Sie die Nummer nicht? Obwohl Sie sie sich illegal besorgt haben?«, schnappte ich und hörte Sam am anderen Ende herzhaft gähnen. Was mich nicht milder stimmte, im Gegenteil.
    »Was wollen Sie?«, fragte er. »Scheiße, es ist nicht mal sechs Uhr!«
    »Ich will wissen, ob Sie einen Mann kennen«, sagte ich. »Blond, kurze Haare, untersetzt, dreißig, vielleicht etwas älter oder jünger.«
    »Klingt nach Tobias«, gähnte Sam. »Trägt er ein weißes T-Shirt? Tobias trägt immer weiße T-Shirts, er wurde wahrscheinlich schon mit einem geboren.«
    Zumindest war er in einem gestorben. Sams Stimme klang misstrauisch, als er wieder sprach, als ginge ihm langsam auf, dass es nichts Gutes bedeutete, wenn ich ihn frühmorgens weckte und mich nach einem seiner Kumpels erkundigte.
    »Was ist mit ihm?«
    »Er liegt tot in meinem Pool. Holen Sie ihn ab, sofort. Ich will schwimmen gehen.«
     
    ***
     
    Sam brauchte eine halbe Stunde, und er kam mit einem Taxi. Ich ließ das Tor aufspringen, eilte dann hoch in mein Wachzimmer und verfolgte seinen Weg über die Kameras: Sam ging um das Haus herum zum Pool, blieb am Rand stehen und starrte in das Wasser. Dann blickte er sich um, kam zum Haus. Ich sah auf dem Bildschirm, wie er gegen die Scheibe des Wohnzimmerfensters klopfte, dann gegen die Tür zur Küche. Sein Gesicht war traurig und geschockt. Und müde, sehr müde.
    Ich wählte seine Nummer.
    »Wo sind Sie?«, fragte er, als er abgenommen hatte, ich runzelte die Stirn.
    »Das geht Sie nichts an. Ist das Tobias?«
    »Ja.«
    »Dann nehmen Sie ihn und gehen Sie.«
    Sam lachte, aber es klang nicht besonders amüsiert. »Wie stellen Sie sich das vor?«
    »Springen Sie ins Wasser, holen Sie ihn hoch, tragen Sie Ihren Freund zum Tor, verschwinden Sie.«
    »Verschwinden? Wohin?«
    »Nicht mein Problem.«
    »Es ist Ihr Pool. Ihr Grundstück.«
    »Und es ist Ihr Freund. Nehmen Sie ihn, gehen Sie.«
    »Was soll ich machen? Ihn mir über die Schulter legen und zum nächsten Friedhof schleppen?«
    »Ich kann Ihnen eine Schaufel leihen«, erbot ich mich, was Sam wieder bitter lachen ließ.
    »Oder ich rufe jemanden an, der nicht nur Tobias entsorgen wird, sondern Sie gleich mit«, fügte ich hinzu, was ihn verstummen ließ.
    »Sie kennen solche Leute wirklich, oder?«, fragte er dann, mit einer Stimme, die klirrend kalt gewesen wäre, wenn sie nicht so erschöpft geklungen hätte. »Wahrscheinlich gehören Sie zu einer internationalen Wahrsager-Mafia.«
    Ah, scheinbar hatte Sam den Saulus geschickt, um Tobias abzuholen.
    »Ist heute wieder mal ein Tag, an dem Sie mir nicht glauben?«
    »Ich glaube ihnen nicht nur heute nicht, sondern nie wieder. Und Sie haben es selbst zugegeben. Sie haben sich verplappert. Eben am Telefon.«
    »Aha.«
    »Haben Sie das nicht gemerkt?«
    »Nein. Aber Sie werden es mir bestimmt gern erklären.«
    Sam

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