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Tödliches Orakel

Tödliches Orakel

Titel: Tödliches Orakel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tina Sabalat
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Monate?' hat er gefragt, und ich habe gesehen, wie er gelächelt hat. 'Das ist eine gute Nachricht, mein Kind, mein Arzt hat mir nur noch einen gegeben.' Ich habe mich umgedreht und literweise Flusswasser ausgekotzt, dann bin ich ohnmächtig geworden.«
    Sam schwieg, dann nickte er erneut. »Ich verstehe. Und es ... tut mir leid. Dass dir das passiert ist.«
    »Nicht deine Schuld«, erwiderte ich.
    Sam wandte den Kopf ab, sein Blick wanderte durch den Raum.
    »Deswegen sieht es hier also so aus. Das Weiß überall. Der Pool und so. Du fühlst dich schmutzig, wenn du in Leute reingeschaut hast. Im Magenschleim gebadet.«
    »Es ist billig«, gestand ich etwas kleinlaut, »aber es hilft. Am Anfang habe ich dauernd geduscht. Habe meine Hände öfter gewaschen als Pontius Pilatus. Habe Wasser getrunken, bis ich beinahe geplatzt bin. Als müsste ich mich von innen reinigen. Den Fluss aus mir rausspülen. Dann bemerkte ich, dass es mich beruhigt, wenn mich Weißes umgibt. Und Wasser ist auch wichtig. Kaltes, klares Wasser.«
    »Wie wäre es mit einem weißen Haus am Meer?«, schlug Sam vor, und ich lächelte. Lächelte meine Scham weg.
    »Steht schon auf meiner Wunschliste. Ganz weit oben.«
    »Von diesem Ufer am Fluss bis hier in dieses bescheidene Häuschen ist es aber auch ein weiter Weg.«
    Ich seufzte, sah auf die Uhr. Es war kurz vor zwölf, und ich war müde.
    »Erzähl es mir. Jetzt oder nie«, sagte Sam, und ich wusste, dass er das ernst meinte: Wir sterben sehr wahrscheinlich eh bald. Ich oder du, du oder ich.
    »Das Ehepaar, das mich gefunden hat, hat den Notarzt gerufen. Und die Polizei.«
    »Haben sie die Jugendlichen aufgespürt?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Ich bin erst viel später wieder wach geworden, im Krankenhaus. Da waren die natürlich über alle Berge. Und ich hatte das Gefühl, dass die mir nicht geglaubt haben. Die Polizei. 'Vielleicht sind Sie ja einfach über die Brüstung gefallen', hat eine Beamtin gesagt, 'Sie waren ja nicht mehr ganz nüchtern'. Und ich konnte die Gang auch nicht gut beschreiben. Einer groß, einer klein, einer blond, einer mit Piercings – davon gibt's Tausende. Zeugen gaben es dagegen keine. Das Ehepaar hatte das Gegröle gehört, das Lied aus dem Film, das die Jungen da gesungen haben. Aber es waren ein paar Kneipen in der Nähe und sie mussten zugeben, dass das auch von da hätte kommen können.«
    »Sehr engagiert, unsere Freunde und Helfer«, bemerkte Sam sarkastisch.
    »Im Krankenhaus war es ... schlimm. Ich war nicht auf der Intensivstation oder so, mir fehlte nicht viel. Körperlich. Die Platzwunde am Kopf haben sie genäht, meine Arme waren mit Salbe eingerieben und verbunden. Ein paar Kratzer hatte ich im Gesicht und am Oberkörper, unterkühlt war ich auch gewesen. In dem Zimmer war noch eine andere Frau. Die hatte sich bei einem Autounfall irgendetwas an der Schulter geholt. Ich bin wach geworden, sie saß auf ihrem Bett und hat gelesen. Sie ist zu mir rüber gekommen, hat 'Hallo' gesagt. 'Na, auch wieder wach'. So was. Nett war sie. Besorgt. Ich habe festgestellt, dass sie Toast zum Frühstück hatte, Joghurt und Tee. Eine Banane. Dass sie ihren Mann verlässt. Dass sie zu ihrem Mann zurückgeht. Dass ihr Mann sie verlässt. Und so weiter. Es endete mit ihrem Tod. Als sie tot war, habe ich mich umgedreht und auf den Boden gekotzt.«
    »Was in einem Krankenhaus ja niemanden schocken dürfte«, sagte Sam, ich lächelte.
    »Die arme Frau war erst der Anfang. Ich habe gekotzt, wenn eine Schwester kam, wenn ein Arzt kam. Eine Kollegin hat mich besucht, ich habe gekotzt. Eine Freundin hat mir ein paar Sachen zum Anziehen gebracht, ich habe gekotzt. Nach einem Tag haben sie mir einen Tropf gemacht, um mir ein paar Nährstoffe zuzuführen, und sie haben mich in ein Einzelzimmer gelegt. Aus naheliegenden Gründen. Sie haben gedacht, das Kotzen hätte was mit dem Flusswasser zu tun. Eine Infektion, irgendwelche Bakterien. Sie haben mir Blut abgenommen, das Erbrochene untersucht. Sie wussten ja nicht, dass ich immer erst sehe, immer erst in diese Mägen muss, und mich dann deswegen übergebe. Und ich habe geahnt, dass das etwas ist, was man besser nicht erzählt. Wenn man nicht auf eine ganz andere Station verlegt werden will, mit Gittern vor den Fenstern. In dem Einzelzimmer war ich viel allein. Die sind nur noch hereingekommen, wenn es nicht anders ging. Ich habe nachdenken können. In Ruhe. Und ich habe erst gemerkt, dass ich kotze, wenn Leute da sind. Dann,

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