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Tödliches Orakel

Tödliches Orakel

Titel: Tödliches Orakel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tina Sabalat
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Ich wollte erst nicht, aber ich habe mich überreden lassen. Sie hat das Kotzproblem kennengelernt. Aus nächster Nähe. Sie hat mir einen Tee gemacht, dann ist sie wieder gegangen. Nach ein paar Tagen kam sie zurück. Viele Sachen waren so, wie ich es gesehen hatte. Ein paar nicht, aber sie hatte schon selbst verstanden, dass sie Dinge getan hatte, die sie nicht getan hätte, wenn ich sie nicht gewarnt hätte. Ich habe gesehen, dass sie Diesel in ihren Benziner tankt, natürlich hat sie wie ein Schießhund aufgepasst, weil ich ihr gesagt habe, dass davon der Motor kaputt gegangen wäre. Das Tanken hat sonst immer ihr Mann erledigt.«
    Sam lächelte wissend, ich fuhr fort.
    »Sie hat mich dann häufiger besucht. Hat für mich eingekauft. Und ich habe irgendwann gemerkt, dass sie auch kommt, weil sie selbst Hilfe brauchte. Der Tod ihres Mannes ... Sie waren lange verheiratet, fast vierzig Jahre. Sie hat ihn vermisst. Aber das war nicht das Schlimmste. Am Ende hatte ich das Gefühl, dass sich zwei Leute in meiner Wohnung verstecken, denn sie ist jeden Tag gekommen und immer länger geblieben.«
    Ich stockte, suchte mal wieder nach den richtigen Worten.
    »Ich habe mich vor der ganzen Welt versteckt und sie vor den Menschen, die sie kannte. Nachbarn, Freunde, Familie. Sie hat das Mitleid nicht ausgehalten. Diese 'Wie geht es dir denn jetzt'-Fragen. Ob es ehrliche Anteilnahme war oder nicht, sie hat das Gefühl gehabt, sie würde reduziert darauf, eine Trauernde zu sein. Die einen Leute wären nur dann zufrieden, wenn sie sagen würde, dass es ihr schlecht ginge. Die anderen Leute wären selbst so geknickt, dass sie das Gefühl hätte, sie müsse sie trösten, müsse fröhlich sein, damit sie nicht so traurig wären. Also haben wir beschlossen, uns zusammen zu tun. Und wegzuziehen.«
    »Wie alt bist du?«
    »Siebenundzwanzig.«
    »Und sie?«
    »Achtundsechzig.«
    »Und Kasimir?«
    »Kasimir IV., um genau zu sein. Kasimir I. war ein Langhaardackel, Kasimir II. ein Rauhaar, Kasimir III. die gleiche Rasse wie Kasimir VI., also glattes Fell und diese Langhaarohren. Aber Kasimir IV. ist ... acht. Glaube ich. Kasimir III. war übrigens ein Mädchen.«
    Sam lachte. »Also ein ganz schöner Altersunterschied. Ich habe erst gedacht, ihr wärt irgendwie verwandt. Ihr seht euch nicht besonders ähnlich, aber sie hätte deine Tante sein können oder so was. Ihr versteht euch gut, oder?«
    Ich machte mit der Hand eine wage Geste.
    »Wir sind häufig aneinander gerasselt. Sie hat ihren eigenen Kopf, ich auch. Wir haben zuerst gemeinsam in einer Wohnung gewohnt, und ich habe viel mit ihr geübt. Das Sehen. Aber es war nicht gut, wenn wir morgens am gleichen Frühstückstisch gesessen haben, und das nicht nur, weil ich damals unmöglich mit einem Menschen in einem Raum sein konnte, der isst. Allein das Kaugeräusch hat mich wahnsinnig gemacht. Unsere Geschmäcker sind grundverschieden, wir entstammen völlig verschiedenen Generationen. Es war einfach zu eng. Zu nah.«
    Sam gab mir mein Weinglas, pflichtschuldig trank ich einen Schluck. Er tat es mir nach, und ich lauschte auf das Schluckgeräusch: Okay, befand ich, es war okay. Es gab Schöneres, aber noch vor ein paar Jahren wäre ich angesichts dieses Glucksens aus dem Zimmer gelaufen, mit den Händen auf den Ohren. Und einer bodenlosen, vor allem aber grundlosen Wut im Herzen, die in keinem Verhältnis zu dem stand, was vorgefallen war.
    »Also habt ihr eine Bank überfallen und diese Häuser hier gekauft«, sagte Sam zwischen zwei Schlucken.
    »Fast. Erst haben wir die große Wohnung gegen zwei kleinere, getrennte getauscht. Dann haben wir überlegt, wie ich Geld verdienen könnte. Das war ungefähr vier Monate nach dieser Brückensache, und meine Ersparnisse gingen dem Ende zu. Frau Berger war dafür, dass ich als Wahrsagerin arbeiten sollte. Von Anfang an. Ich nicht. Ich wollte keine Tode mehr sehen. Es ist vieles erträglich, aber das nicht. Ich habe gedacht, ich suche mir einen Job, den ich von Zuhause machen kann. Schreiben, Korrekturlesen. So was. Wer nicht ausgeht, braucht auch nicht viel Geld. Das hätte schon irgendwie funktioniert.«
    »Aber?«
    »Aber ... wieder Frau Berger. Sie sagte, ich könnte etwas, was niemand anderer kann. Dieses Sehen wäre eine Gabe, das hätte sie an ihrem Mann gemerkt. Auch, wenn er ohne mich so lange gelebt hätte, wäre er doch viel glücklicher gewesen. Weil er die Tage als Geschenk verstanden hätte. Das ich ihm gemacht hätte, als ich es

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