Tödliches Orakel
machen.«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Ich kann auf einen Kunden verzichten, aber nicht auf meine Putzfrau.«
Sam schwieg, und ich wusste, dass ich zu weit gegangen war.
»Sie hat zwei kleine Kinder. Lass sie da raus.«
Das war keine Entschuldigung, aber Sam akzeptierte die Absage mit dieser Begründung. Wahrscheinlich teilte er gerade meine Vision davon, wie jemand Alines Kinder über meine Mauer warf. Mit aufgeschlitztem Bauch oder einer Kugel im Kopf, wie ich Kasimir gesehen hatte.
»Ich kenne keine Leute, die Russisch sprechen«, sagte Sam. »Die Eltern von Tobias kann ich ja wohl nicht fragen.«
»Nein.«
»Kennst du Russen?«
Ich seufzte.
»Ja. Einen. Einen Kunden. Aber lass uns den bitte als allerletzte Option nehmen. Er ist sehr ... speziell.«
Sam war aufgestanden und tigerte auf der Terrasse auf und ab.
»Russisch. Russisch. Es gibt das Konsulat, oder? Nein, lieber nicht, wer weiß, was die damit machen. Ein Konsulat ist quasi eine Behörde. Dann einen Übersetzer für Russisch. So was gibt's. Aber wahrscheinlich muss man da einen Termin machen und kriegt dann einen Kostenvoranschlag. Es gibt ... russische Restaurants.«
»Die Pizzeria die Straße runter betreibt ein Grieche«, sagte ich, Sam marschierte.
»Es gibt russische Kirchen. Orthodox.« Er verfolgte das nicht weiter. »Ein Kollege von mir heißt Michal. Aber der kommt aus Tschechien. Ich habe auch seine Nummer nicht.«
»Frag Tobias Handy, dann bekommst du jede Nummer.«
»Dimitri ... Fallen dir noch andere russische Namen ein?«
»Kasimir. 'Mir' bedeutet Frieden.«
»Haha. Komm, hilf mir.« Er hörte auf zu laufen. »Oder kürz das Ganze ab. Sieh mich an und sag, was in dem Telefonat besprochen wird. Irgendwann kriegen wir es eh raus, aber du kannst es doch ein bisschen beschleunigen.«
»Nein. Ich habe schon einmal gekotzt. Und momentan hast du keinen Ansatzpunkt, also kann ich auch keine Übersetzung sehen.«
»Dann ruf deinen Russen an.«
»Nein.«
»Scheiße. Bin gleich wieder da.«
Sam verschwand im Haus, und als er zurückkam, waren seine Haare zerwühlt und auf seinem Hemd Tropfen: Er schien den Kopf unter den Wasserhahn gehalten zu haben. Scheinbar hatte ihm das beim Denken geholfen, denn er hielt sein Handy in der Hand, klickte darauf herum.
»Wir rufen an der Uni an und zahlen einem Studenten ein paar Euro, damit er sich das anhört.«
Er telefonierte erst mit einer gewissen Doro, die scheinbar an der Uni hängen geblieben war, an der Sam studiert hatte, und seit viel zu langer Zeit an ihrer Doktorarbeit bastelte. Sam machte ein paar Minuten Small Talk und fragte dann, ob sie jemand aus dem Bereich Slawistik kennen würde. Sie kannte niemanden, aber ihre Freundin war wohl mal mit einem gegangen, und der ...
Ich stand auf und holte meine Zigaretten. Diesmal gab ich Sam eine angezündete, der tippte eine neue Nummer ein und stellte sich kurz darauf einer gewissen Melanie vor. Er sagte, was er wollte, versprach ihr, den Ex recht unfreundlich zu grüßen und notierte eine neue Nummer.
»Okay. Hier. Alex. Alex ist Doktorand für russische Lyrik, er spricht fließend russisch. Und ist trotzdem ein Arschloch, wenn ich diese Melanie richtig verstanden habe: Sie liebt die Sprache, aber wegen ihm hat sie stattdessen Chinesisch belegt.«
Sam klemmte sich seine Zigarette in den Mundwinkel und sah damit sehr verwegen aus. Er trug ein kariertes Flanellhemd, seitdem er aus seiner Wohnung zurück war, dazu eine Jeans und offene Sandalen. Er hatte ein paar Sommersprossen auf den Füßen. Was mir gefiel. Er war ein Kunde, der zu diesem Termin seine Reisetasche mitgebracht hatte. Was mir nicht gefiel. Und er hatte die Mittagspause in meinem Bett verbracht. Was mir an sich gefallen hatte, aber das Ganze unsäglich kompliziert machte.
»Okay. Wir müssen diesem Alex das vorspielen.«
Sam zog seinen Stuhl näher an den Tisch, ich rückte etwas weg, damit ich ihn nicht aus Versehen ansah. Die Zigarette bekämpfte zwar meine Restübelkeit, aber sicher war sicher.
»Bereit?«
Ich nickte, Sam wählte.
»Hallo Alex, hier ist Sam. Du kennst mich nicht, aber ich war auch in Göttingen an der Uni. Ich habe eben ein paar alte Bekannte bei euch da oben angerufen, weil ich jemanden brauche, der mir etwas übersetzt. Ich glaube, dass es Russisch ist. So was wie ein Telefonat.«
»Lautsprecher«, sagte ich, Sam sah auf sein Handy und klickte, kurz darauf tönte Alex Stimme über den Rasen.
»Wenn's Russisch ist, kann ich
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