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Tödliches Orakel

Tödliches Orakel

Titel: Tödliches Orakel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tina Sabalat
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den Laptop hoch, als suche er etwas.
    »Hat der keine Lautsprecher?«
    Ich beugte mich zur Seite und deutete auf ein kleines Rädchen an der Seite. Sam drehte am Rad und eine Stimme erklang. Die Stimme eines Mannes, die in einer fremden Sprache redete. Der Mann schwieg, eine andere Stimme antwortete, ganz kurz nur. Dann der erste Mann wieder. Er redete länger, und als er fertig war, war der Zweite erneut dran. Es ging hin und her, gefolgt von ein paar Sekunden Pause. Dann der erste Mann, der Zweite noch mal. Ende.
    Ich ließ meine Augen über Sam hinweg flattern und sah pure Ratlosigkeit.
    »Hast du das verstanden?«, erkundigte er sich, ich schüttelte den Kopf.
    »Klang wie Russisch. Tschechisch. Polnisch? Nein, nicht polnisch. Vielleicht Rumänisch, Bulgarisch. Albanisch.«
    »Keine Ahnung«, sagte ich.
    »Ich will's noch mal hören.«
    Die Stimmen erklangen wieder.
    »Russisch«, sagte Sam danach sicherer. »Der eine Typ sagt zweimal 'Da', das heißt 'Ja'.«
    Konnte sein, ich wusste es nicht. Ich war mittelmäßig sprachbegabt, empfing Kunden, die Deutsch, Englisch oder Französisch sprachen. Dolmetscher akzeptierte ich nicht, weil ich keine dritte Person im Raum duldete, neben mir und dem Kunden.
    »Wenn der erste Mann länger spricht, hört man ein paar Namen«, rätselte Sam weiter. »Ich meine, ich habe 'Dimitri' verstanden.«
    »War Tobias Russe?«, fragte ich, Sam nickte gedankenverloren.
    »Ja. Na ja, fast. Seine Eltern waren aus Russland. Nein, Weißrussland. Tobias ist in Deutschland geboren worden, die Familie ist irgendwann Anfang der siebziger Jahre rüber gekommen.« Ich spürte, dass Sam mich anstarrte. Nachdenklich, selbstvergessen. »Ich habe das erst nicht gewusst. Woher auch? Er heißt Tobias Braun, und er hatte nicht den leisesten Anflug von einem Akzent. Ich habe seine Eltern erst kurz vor dem Examen kennengelernt. Ich habe Tobias zuhause abgesetzt, die Mutter hat mich zum Abendessen eingeladen. Der Vater war Drucker, sie hat in einem Kindergarten gearbeitet, glaube ich. Nette Leute. Sie hatten ein Reihenhaus. Den Eltern hat man schon angehört, dass sie früher viel Russisch sprechen mussten. Und der Vater hat mir ein bisschen was erzählt. Von der Familie, wie sie nach Russland gekommen ist. Im 18. Jahrhundert, glaube ich. Und wie sie es geschafft haben, wieder raus zu kommen. Sie durften nichts mitnehmen. Kein Geld, keine Wertsachen. Sie haben von null wieder anfangen müssen.«
    »Und sie wissen noch nicht, dass ihr Sohn tot ist«, sagte ich.
    »Ja. Scheiße.« Sam sah mich an. »Wir müssen das zu Ende bringen. Bitte. Auch wenn Tobias Mist gebaut hat.«
    »Ich glaube nicht, dass er Mist gebaut hat«, sagte ich und sah, wie Sam aufmerkte. »Wenn in dem Schließfach ein Haufen Geld gewesen wäre, ein Kilo Koks oder die Beute von einem Juwelierraub, dann ja. Aber das da« – ich wies wage auf den Laptop – »das ist etwas anderes. Es klingt wie ein Telefongespräch. Er hat vielleicht Mist gebaut in dem Sinne, dass er das nicht hätte hören dürfen. Und speichern schon gar nicht.«
    »Also denkst du, dass diese beiden Männer da irgendwas Kriminelles besprechen?«
    »Ja. Etwas so Kriminelles, dass man Tobias dafür umgebracht hat.«
    »Also ... Tobias konnte Russisch. Seine Eltern haben ihm das beigebracht, weil es nicht schaden kann, noch eine Fremdsprache zu können. Der Vater hat gelacht, als er mir das erzählt hat: Sie durften ewig lange nur zuhause Deutsch sprechen, hat er gesagt, und jetzt bringe er seinem Sohn Russisch bei.«
    »Also hätte Tobias das Gespräch verstanden. Wenn das Russisch ist, was die da reden.«
    »Was denn sonst? Das ist Russisch. Und er hätte das verstanden. Wir hatten mal einen Film, da gab es russische Untertitel. Irgendeine illegale Kopie. Tobias hat mir das übersetzt. Etwas langsam, aber er hat es übersetzt. Woher kommt Aline?«
    »Rumänien.«
    »Kann sie Russisch?«
    »Warum sollte sie? Sie spricht Rumänisch, Englisch und verbessert ihr Deutsch mit Böll, Kafka und Thomas Mann.«
    »Vielleicht musste sie's in der Schule lernen. Wir haben Englisch gelernt, die Schüler im Ostblock Russisch. Wir brauchen jemanden, der uns das da übersetzt.«
    »Sie ist gerade mal zweiundzwanzig. Als sie geboren wurde, war der Ostblock schon in Auflösung begriffen. Und sie spricht Englisch, weil sie es in der Schule gelernt hat. Was ich aber bereits erwähnt habe.«
    »Komm, einen Versuch ist es wert. Kannst du sie anrufen?«
    »Nein.«
    »Dann soll Frau Berger das

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