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Tödliches Orakel

Tödliches Orakel

Titel: Tödliches Orakel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tina Sabalat
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angeblich verwaisten weißrussischen Kindern durch reiche Westeuropäer Schlagzeilen gemacht hatte, davor waren Polizeischikane und scheinbar gar nicht so alte KGB-Verbindungen ihre Lieblingsthemen gewesen. Sie war noch am Leben, hatte aber dafür ein anderes Problem: Sie saß in Minsk im Gefängnis. Bilder zeigten sie bei Demonstrationen, zeigten auch ihre Verhaftung vor nunmehr drei Monaten. Man hatte ihr den Prozess gemacht und sie weggeschlossen, zehn Monate wegen Landfriedensbruch.
    »Zehn Monate? Sie hat auf einer Demo ein Plakat geschwenkt, das war alles!«
    Sam war entsetzt. Darja war eine rehäugige, kleine Frau, und wir starrten auf ein Bild, auf dem sie von vier Polizisten in schwarzer Kampfausrüstung weggeschleppt wurde, ein Bettlaken in der Hand, auf dem ein kulleräugiger Smiley mit zugepflastertem Mund zu sehen war: Es war unverhältnismäßig und brutal.
    Sam schwieg, ich sah auf den geborstenen Baum.
    »Wer ist der Nächste?«, fragte er dann.
    »Viktor Schirjajew.«
    »Hm ... Ein Journalist, aber mit politischen Ambitionen. In seinen letzten Artikeln ging es um den in Weißrussland noch immer sehr aktiven KGB, den er mit der Gestapo vergleicht. Wahrscheinlich zu Recht. Und er fand, dass die letzte Wahl dort keine Wahl gewesen ist. Er hat es geschafft, beim Abgeben seiner Stimme einen Aufkleber auf der Urne zu platzieren, wurde dafür verhaftet, allerdings auf internationalen Druck hin wieder frei gelassen.«
    »Was für ein Aufkleber?«
    Sam las weiter, lachte dann bitter auf.
    »Ein Recycling-Symbol, daneben stand 'Papiermüll'.«
    »Treffend.«
    »Drecksland«, sagte Sam finster, »was für ein verdammtes Drecksland. Ich wusste ja, dass die nicht wirklich demokratisch sind, aber das? So schlimm war's ja zu Stalins Zeiten nicht. Die haben wahrscheinlich die alten Gulags übernommen, als die in Sibirien dichtgemacht wurden.«
    »War das alles zu Viktor? Du sagtest etwas von politischen Ambitionen.«
    »Ja, er war selber zur Wahl aufgestellt, für einen 'Woblast'. Das scheint ein Wahlbezirk oder so was zu sein. Er ist nicht in der Regierungspartei, wie du dir sicher denken kannst.«
    »Und er hat die Wahl verloren.«
    »Aber ja. Haushoch.«
    »Weil eine Wahl dort keine Wahl ist.«
    »Natürlich nicht, wo kämen wir denn da hin«, spöttelte Sam. »Hier, das ist hübsch: Der Geheimdienst hat vor der Wahl gesagt, gegen Regierungsgegner werde die Todesstrafe verhängt. Da macht man sein Kreuzchen doch gern. Drecksland.«
    »Das sagtest du schon.«
    »Na und? Scheißland.«
    »Dann bleibt nur noch Stepan Braun«, sagte ich.
    »Stepan Braun ... Hier. Auch ein Autor. Mehrere Bücher. Nicht übersetzt, nur russische Titel. Meinetwegen Weißrussische. Schon ein älterer Herr, oder?«
    Sam zeigte auf ein Foto: weiße Haare, Altersflecken, Falten, dicke Brille. Sam klickte weiter.
    »Die Cover sehen wissenschaftlich aus. Keine reißerischen Sachen über arme Kinder oder so.« Er surfte weiter. »Hier steht er auf einer Rednerliste bei einer Tagung, aber das ist schon zehn Jahre her. Stepan ist Professor Doktor Phil. der Literaturwissenschaften. Bis 2006 war er an der Uni in Minsk, zuletzt Vorsitzender des Fachbereichs. Dann drei Jahre in Nawapolazk. Nicht an der Uni, sondern an einer Schule, als Lehrer. Klingt nicht wie eine Beförderung, oder? Von Minsk nach Nawairgendwas? Jetzt ist er ... arbeitslos.« Sam vertiefte sich in einen englischen Artikel, ich wartete. »Er ist versetzt worden, weil er die Vergabe von Studienplätzen und Stipendien kritisiert hat. Und in die Vergabe von Diplomen. Es gäbe Studenten, die nicht einen Hörsaal von innen gesehen hätten und summa cum laude gehen würden. Wenn die Eltern zahlen. Und die normalen Studenten bekämen keine Jobs, weil die reichen Eltern weiter schmieren, damit der summa cum laude-Nachwuchs beste Startchancen hat. Er hat erst in Minsk Theater gemacht, man hat ihn nach Nawapolazk abgeschoben, da hat er weiter gemacht. Scheinbar konnte oder wollte man keine Beweise finden und hat ihn rausgesetzt. Jetzt schreibt er über die Bildungspolitik, wenn ihn denn einer druckt, hat sich außerdem auf das Thema Willkür in der Justiz gestürzt, da scheint Geld wohl bei der Urteilsfindung auch eine größere Rolle zu spielen. Und er ist Gründungsmitglied einer neuen Partei.«
    »Einer oppositionellen Partei.«
    »Natürlich.«
    »Und er könnte sehr bald einen plötzlichen, tragischen Tod finden.«
    »Versteht sich.«
    »Wie vier andere

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