Tödliches Orakel
sehen und Sams Gesicht über den spiegelnden Bildschirm beobachten konnte. Ich las die Namen, einmal, zweimal, dreimal. Sam tat es mir nach, aber laut, langsam und nachdenklich.
»Worob-jow. Wo-robjow. Alex hat das anders ausgesprochen.« Sam knete seine Haare. »Wo-rob-jow. Dmitrij. Fehlt da nicht ein i? D-i-mitrij? Es klingt ... falsch.«
»Falsch?«
»Ja. Aber nicht nur wegen dem i. Wie wenn du ... statt Bill Clinton William Clinton sagst.«
»Google ihn. Diesen Dmitrij.«
Sam tippte, klickte. Klickte wieder. Ich sah die Konzentration in seinen Augen.
»Es gibt jede Menge Dmitrij Worobjows, und alle sind bei Facebook.«
»Dann schau, wie man Dmitrij abkürzt. Wenn jeder William sich Bill nennt, dann nennt sich vielleicht jeder Dmitrij ...«
»Mischa«, sagte Sam kurz darauf. »Mischa Worobjow. Ja. Das sagt mir was. Hier.«
Ich beugte mich näher heran, blickte auf das Foto eines ernst aussehenden Mannes von etwa fünfzig Jahren mit eckiger Brille und dünnen Haaren. Das Bild prangte auf einer Webseite, deren Buchstaben leider komplett Kyrillisch waren.
»Er scheint tot zu sein. Autounfall.« Sam tippte auf das Bild eines umgedrehten, ausgebrannten Wagens. »Ein Datum. 24. Februar.«
»Such eine andere Webseite. Die wir lesen können.«
Sam tippte und wurde nach einiger Zeit immerhin englischsprachig fündig.
»Sie schreiben, es müsse ein anderes Auto beteiligt gewesen sein. Er sei stocknüchtern gewesen, die Straße gerade und trocken. Es gab Lackkratzer, als hätte jemand das Auto gerammt. Und er war Journalist.«
»Ein weißrussischer Journalist?«
»Ja. Deswegen erinnere ich mich auch. Nicht wegen Weißrussland, sondern weil er Journalist war. Es gibt immer wieder Übergriffe auf Journalisten. In der ganzen Welt. Die beiden Deutschen, die sie im Irak verhaftet haben. Die beiden Amerikaner, die im Jemen entführt worden sind. Chinesische Journalisten unter Hausarrest. Ich lese so was. Das sind quasi Kollegen. Ich schlage mich nur mit dem aufgeblasenen Ego meines Chefs herum, die kämpfen um ihr Leben.« Sam dachte nach, nickte dann. »Wir hatten die Meldung im Ticker liegen, haben sie aber nicht gebracht, weil er zu unbekannt war.«
»Und du meinst, dieser Dmitrij wurde umgebracht?«
»Diese Webseite scheint davon auszugehen. Allerdings gibt es wohl keine große Hoffnung, dass sich das ohne Zeugen beweisen lässt.«
»Worüber hat er geschrieben, steht das da?«
Sam überflog den Artikel noch einmal, und der war nicht sehr lang.
»Das Verhältnis von Weißrussland zu Russland.«
»Ist das schlecht? Das Verhältnis?«
Sam sah mich an, ich empfand seinen Blick als vorwurfsvoll.
»Was?«
»Erinnerst du dich nicht an das Theater wegen der Öllieferungen? Russland hat Weißrussland den Hahn abgedreht, und die anderen Staaten hatten Angst, dass bei ihnen auch nichts mehr ankommt. Das war 2007. Seitdem mögen die sich nicht mehr so wirklich. Nett ausgedrückt.«
»Und Dmitrij Worobjow fand, dass ...?«
Wenn Sam mir schon Nachhilfe geben wollte, dann bitte auch richtig.
»Er fand, dass Weißrussland ein gefährliches Spiel spiele. Viele Staaten seien in ihren Energiebedürfnissen von Importen abhängig, eine totale Autarkie könne es nicht geben. Man müsse Partnerschaften eingehen.«
»Klingt doch vernünftig.«
»Sicher. Aber scheinbar will Weißrussland ein neues Atomkraftwerk bauen, und er hat ein paar Artikel geschrieben, in denen sehr häufig das Wort 'Tschernobyl' vorkam.«
»Ist das ein Grund, um jemanden umzubringen?«
»Wenn du vorhast, ein paar lausige Millionen auszugeben, auf die Gesundheit deiner Bevölkerung zu pfeifen und Milliarden zu verdienen, indem du den Strom ins Ausland verkaufst, dann vielleicht schon.«
»Okay. Check den nächsten Namen. Sergej Peretjagin.«
Sam suchte und wurde fündig. Sergej war ebenfalls Weißrusse. Und ebenfalls tot, allerdings hatte man ihn erstochen. Er schien bekannter zu sein als der Erste, als Dmitrij, denn zu seinem Tod waren auch in Deutschland einige Artikel erschienen. Er hatte die Sozialpolitik seines Landes kritisiert, besser gesagt die seiner Meinung nach nicht vorhandene Sozialpolitik. War im Fernsehen aufgetreten. Und er hatte zwei Bücher geschrieben, die im Ausland gedruckt worden waren: 'Die Verwaltung der Armut' und 'Der Schrei der Kinder'. Sam gestand, diesen Fall nicht verfolgt zu haben und gab den nächsten Namen ein: Darja Zichan. Darja war eine Frauenrechtlerin, die mit der Aufdeckung illegaler Adoptionen von
Weitere Kostenlose Bücher